Samstag, 27. Juli 2013

Manchmal ist das Verkehrte genau das Richtige...

Nachdem Joey bei vielen Hundebegegnungen komplett abgedreht und ausser sich geraten ist, habe ich ihn ja erst immer irgendwann herzhaft in den Nacken gepackt und auf den Boden gedrückt. Das sah (und sieht) gemein und brutal aus und damit handelt man sich manch bösen Blick anderer Leute ein. Für Joey ist es sicherlich auch nicht angenehm. Aber man stelle sich einfach mal vor, was passiert, wenn man in den Bewegungsradius eines außer sich geratenen Hundes gerät. Egal ob als anderer Hund, als Besitzer, Kind, Erwachsener, ob zu Fuß oder mit dem Rad.

Es ist nicht so, das ich vorher nicht andere Sachen versucht hätte – aber dass hat alles nichts gebracht. Auf Worte reagiert er nicht. Quietschies interessieren ihn überhaupt nicht. In die andere Richtung gehen – ja, ist aber genau dann doof, wenn von dort auch ein Hund kommt. Ausweichen ist ja auch gar nicht Sinn der Sache, sondern Joey soll lernen, das Hundebegegnungen gesittet ablaufen können. Er will ja nichts Böses – er will einfach nur jeden Hund kennen lernen. Vielleicht sucht er auch einfach „alte Kumpel aus Finikounda“?

Vor einigen Tagen ist er so dermaßen durchgedreht, das ich in dem Moment dachte: „Scheiß was auf das Gerede vom Alpha-Wurf und wie schädlich das angeblich für den Hund ist!“. Nach einigem Gerangel habe ich ihn auf den Rücken befördert. Eine Hand an der Kehle, eine an der Flanke und unmißverständlich klar gemacht, das es jetzt reicht und er erst dann wieder aufstehen darf, wenn ich das will. Er wirft sich auch schnell mal hin und macht eine Unterwerfungsgeste – aber der Instinkt sagt ihm: „Danach geht es weiter!“ - diesmal nicht. Immer, wenn er den Kopf wieder gehoben hat: „Runter damit, ich meine das wirklich ernst!“

Das hat er dann auch begriffen. Und wenn es ihn verunsichert hat – ja, dann ist doch eigentlich gut. Denn seine bisherige SICHERHEIT war ja das Wissen, sofort wieder aufspringen und weiter Rabatz zu machen. Das ist, was er in seinem bisherigen Leben gelernt hat: Immer wachsam sein. Also braucht es durchaus VERUNSICHERUNG um neu zu lernen. Darüber habe ich aber erst später nachgedacht.

Joey lag also da, hat mit Nachdruck erlebt, das ich eine sehr klare Ansage mache... und der Kopf blieb tatsächlich unten, der Atem wurde ruhiger. Meiner übrigens auch. Es gibt auch mir eine Auszeit um Luft zu holen, Leinen zu sortieren, mir den Schweiß abzuwischen, gucken, ob ich irgendwo blute ob der ganzen Kratzer und Farino zu loben, weil er einfach ruhig stehen bleibt und wartet bis der Kleine sich wieder berappelt hat. Dann geht es weiter. Deutlich ruhiger und dafür wird gelobt. OK, beim ersten Mal kam nach zwei Minuten dann eine Katze... :-(

Ich habe das zwei Tage lang bei jeder Hundebegegnung gemacht, wo er komplett ausgeflippt ist. Er flippt ja nicht bei jeder Hundebegegnung so aus, sondern nur bei wenigen. Nach dem zweiten Mal brauchte er schon gar nicht mehr auf dem Rücken liegen - einfach nur auf der Seite. Binnen einer Minute war der Hund deutlich entspannter. Einmal ist er sogar dabei weggedöst. :-D Er bekommt dann auch nicht mehr viel mit. Ein Auge ist unten, eines guckt zum Himmel – Hund oder Katze sind gar nicht mehr im Blickfeld.

In diesem Fall war es eine richtige Entscheidung, so zu handeln, denn ein Straßenhund kann mit „Nein, lass das bitte sein!“ nichts anfangen und lieber wenige Male etwas herzhafter zupacken und sich durchsetzen und damit dem Hund (und sich selbst) eine Möglichkeit geben, sich zu entspannen – und ihm letztlich neben dem „das Verhalten ist unerwünscht!!!!!“ auch zu vermitteln: „und wenn du auf dem Boden liegst, dann kannst du entspannen, denn ich passe auf dich auf!“.

Wenn ich so beim Schreiben darüber nachdenke... ich kann Joey verstehen. Es ging mir sehr lange Zeit genau wie ihm. Ich hatte mit Stalkern zu tun und habe eine Trennung hinter mir, die sehr unschön ist. Ich weiß nur zu gut wie es ist, aus der Haustüre zu gehen und schlagartig komplett angespannt und wachsam zu sein. Es ist wahnsinnig anstrengend und belastend! Manchmal ist Sicherheit nämlich genau das: ständige Anspannung und Wachsamkeit. Es nicht zu sein, kann böse ausgehen. Wenn ich als Mensch schon lerne, das letztlich nur ich selbst für meine Sicherheit verantwortlich bin weil alles andere letztlich nichts weiter als Papier und mehr oder minder gut gemeintes Gerede ist - wie muss es da erst einem Hund gehen?

Erst als ich Joey mit Nachdruck gezeigt habe:“Wenn du unten bist, dann passe ich wirklich auf dich auf und dir passiert dann auch ehrlich nichts!“ hat er nach und nach begriffen: „Das ist ja tatsächlich so!“ - und ein Stück seiner bisherigen Sicherheit gegen ein Stück wirkliches Vertrauen eingetauscht. Vertrauen ist nicht, dass ein Hund jedem Menschen gegenüber freundlich ist. Denn das kann auch so eine Art „Vertreter-Mentalität“ sein: immer schön nett und freundlich zu allen sein, damit erarbeitet man sich Vorteile. Als Hund unter anderem die Möglichkeit, schneller an Futter zu kommen.

Ich habe Joey seit zwei Tagen nicht mehr so hinlegen müssen. Heute ist er noch mal etwas mehr ausgerastet, da hat es gereicht, das ich irgendwann seinen Kopf einfach gegen mein Bein gedrückt habe. Noch nicht mal mit viel Nachdruck, einfach als „so, jetzt guckst du mal in eine andere Richtung und holst Luft!“. Das nenne ich Fortschritt. Und wirklich wachsendes Vertrauen.

ABER... im Prinzip haben die Hundefachleute tatsächlich Recht, die sagen, dass so ein „Alpha-Wurf“ nicht gut ist – denn es kann genau das Gegenteil eintreten: vorhandenes Vertrauen vom Hund in den Hundeführer wird komplett zerstört oder nicht vorhandenes erst recht nicht aufgebaut - und im schlimmsten Fall gibt es einen üblen Beißvorfall!

Ich habe das Glück, Farino dabei zu haben, der mit viel Gelassenheit und Ruhe vermittelt, dass auch wenn ich mal zupacke, trotzdem alles in Ordnung ist. Als Orientierung für Joey ist das sehr wichtig. Als Mensch kann ich letztlich noch so gut meinen – ich bleibe immer ein Mensch. Meine Sprache und mein Handeln ist menschlich, selbst dann, wenn ich mich bemühe „hündisch“ rüberzubringen. Farino ist ein Artgenosse. Seine Ruhe und Gelassenheit ist glaubhafter als alles, was ich Joey je sagen könnte.












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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.