Montag, 3. April 2023

Tierleid

so ziemlich immer, wenn ich irgendetwas von mehr oder minder militanten Veganern lese, deren Hauptanliegen es ist, andere bekehren zu wollen, lese ich das Wort „Tierleid“. Ich finde es wunderbar philosophisch – und im Endeffekt im Zusammenhang mit Tierhaltung in Deutschland eine ebenso bequeme Floskel wie „der gesunde Menschenverstand“. Warum? Tierleid impliziert, dass ein Tier tatsächlich leidet. Was ist nun aber „Leid“? Laut Wikipedia ist das Wort „Leid“ ein Sammelbegriff für all das, was einen Menschen körperlich und seelisch belastet.

Sicherlich gibt es auch Tiere, die leiden. Die einen Partner verloren haben, ihren „besten Kumpel“, die wild gefangen wurden und nun ihr Dasein in einem kleinen Käfig fristen müssen. Es gibt auch Landwirte, die ihre Tiere vernachlässigen oder denken, wenn sie ein krankes Tier mit Zuckerkugeln behandeln, tun sie ihm etwas Gutes. Die TierschutzNutztierverordnung sagt ganz klar aus, dass in der Nutztierhaltung kein Tier leiden soll. In sehr vielen Fällen funktioniert das auch richtig gut.

Es ist immer sehr einfach, auf Landwirte zu zeigen und „ihr Tierquäler!!!“ zu brüllen. Das würde man denen allerdings meistens nicht direkt ins Gesicht sagen – da eignet sich Social Media oder irgendwelche NGO´s, die damit Geld generieren, viel besser für, das ist so hübsch anonym (das war jetzt sarkastisch gemeint). Wenn man Haltungsbedingungen von Tieren anprangert, wo man oft nicht einmal genau weiß, was deren tatsächlichen Bedürfnisse sind und wie sie wirklich gehalten werden – wie sieht es denn so bei den Haustieren aus?

Nur Plastik im Blick und unpassende Einstreu.

Es gibt Tiere, die angeschafft wurden und wo man sich vorher nicht so wirklich damit beschäftigt hat, was die Voraussetzungen für die Haltung sind. Das passiert sogar ziemlich häufig. Oder so „hippe“ Tiere, die alle „voll süüüüß“ finden, weil sie dem Kindchen-Schema entsprechen, aber letztlich nichts anderes als Qualzuchten sind, wie Hunde mit platten Nasen, die vor sich hin röcheln. Das ist bei „Frenchies“ also bei Französischen Bulldoggen oft der Fall oder bei Möpsen. Hervorquellende Kulleraugen werden ebenfalls mit „niedlich“ assoziiert, sorgen aber für diverse Probleme. Sehr kleine Hunde, so genannte „Teacup-Hunde“ haben zum Teil papierdünne Knochen, der beliebte „Merle-Effekt“ in der Fellfarbe ist ein Gendefekt, der schwere Nebenwirkungen haben kann. Meerschweinchen mit sehr langem Fell sehen zwar irgendwie eindrucksvoll auf ihren Showbildern aus – können ihr Fell aber nicht mehr selbst ausreichend pflegen, ebenso ergeht es Kaninchen. Laut Vet-Line werden Qualzuchten eher bei Hunden und Katzen diskutiert, kommen aber bei kleineren Säugetieren ebenso häufig vor, beliebt sind Züchtungen mit viel zu kurzen Köpfen, die das Kindchenschema bedienen. (Lesenswerter Artikel!) https://www.vetline.de/kurzkoepfigkeit-beim-kaninchen



kurzköpfiges Kaninchen mit "Baby-Face", Qualzucht und "niedliches" Tierleid 


Nicht nur dass, schauen wir uns doch mal die Mindestgrößen von Gehegen an:

Meerschweinchen, mindestens zu zweit gehalten, bei zwei Tieren 2 Quadratmeter Grundfläche UND Freilauf. Kaninchen, auch mindestens zu zweit gehalten, bei zwei Tieren 6 Quadratmeter Grundfläche und ausreichend hoch, damit sie mit aufgestellten Ohren stehen können UND Freilauf. Hamster, 1 Quadratmeter Grundfläche, 70 cm hoch UND Freilauf. Ratten, mindestens zu zweit zu halten, mindestens 80 x 40 cm und mehrere Etagen hoch, UND mehrere Stunden Freilauf am Tag. Die Realität für viele Kaninchen und Meeries sieht aber eher so aus:





Die Verantwortung für diese Tiere wird oft Kindern überlassen. Denn die wollten ja die Tiere haben. Also sollen sich genau diejenigen, die selbst noch Fürsorge und Hilfe um im Leben klar zu kommen brauchen, bitte um ein lebendiges Wesen kümmern, dass ihnen nicht sagen kann, wie es ihm geht, was es braucht etc..

Vielen Menschen ist ein Tierarztbesuch auch zu teuer. Meerschweinchen und Co gibt es für wenig Geld in einer Zoohandlung, mitunter geschenkt über Kleinanzeigen. Warum dann im Ernstfall das Mehrfache davon für einen Tierarzt ausgeben? So denken SEHR viele Menschen mit Heimtieren. Insbesondere, wenn es die Tiere ihrer Kinder sind. So gibt es quer durch Deutschland sicherlich tausende und abertausende Tiere, die still leiden. Weil ihre Krallen zu lang sind, ihr Fell verfilzt, weil ihre Zähne so heftig Probleme machen, dass sie kaum noch etwas fressen können und so weiter und so fort.

Auf einem Bauernhof kommt der Tierarzt immer mal wieder. Bei einer Schlachtung kann mitunter auch festgestellt werden, ob das Tier massive Schmerzen erleiden musste, weil es z. B. eine Knochenveränderung hat. Man kann zurückverfolgen, wer das Tier hat so leiden lassen und vor allem: wer dafür verantwortlich war, ein nicht transportfähiges Tier auf einen Schlachttransporter zu stecken. Das ist in Ordnung und so etwas wird auch immer mal wieder angezeigt.

kurznasige Rassekatze. Auch das ist Qualzucht und selbstverständliches Tierleid


Aber das ganze Tierleid, das es quer durch Deutschland in Privathaushalten gibt, wo Tiere tatsächlich lange leiden müssen, das interessiert eher weniger. Da kommt keiner und würde solchen Leuten sagen: „Boah, IHR TIERQUÄLER! SAUEREI, IHR GEHÖRT ANGEZEIGT!“ und das dann durchziehen. Oder nur in seltenen Fällen. Denn das hat oft viel zwischenmenschliche Folgen. Denn: es kann das eigene Kind sein, dass ein Tiere in einem viel zu kleinen Käfig hat. Oder unbedingt einen „Frenchy“ wollte, oder ein Zwergkaninchen mit viel zu kurzem Kopf. Es kann die beste Freundin sein, der beste Freund, Onkel, Tanten, Arbeitskollegen. Mit denen will man es sich nicht verderben.

Junior und ich haben mal freudestrahlend (also die Mutter der Besitzerin hat das, die schon ewig keine Lust mehr auf die Tiere hatte) zwei Kaninchen gezeigt bekommen: „Guckt mal, die pfeifen wie Meerschweinchen! Voll lustig!“. Wir haben die Tiere, die auch in einem viel zu kleinen Käfig waren, mitgenommen. Und ja, die pfiffen, aber definitiv nicht wie Meerschweinchen. Eher wie kurz vor dem Ersticken. Das war dann auch der Fall. Einen Tag später waren wir in der Tierklinik, beide hatten Wasser in ihren Lungen und viel zu lange Nagezähne. Wir haben noch mit einem entwässernden Medikament versucht, zu retten, was zu retten ist, aber „Rosenrot“ musste ein paar Tage später eingeschläfert werden. „Schneeweißchen“ hat noch ein paar Monate länger gelebt. Aber das waren dann auch weit über 200 Euro Tierarztkosten für zwei geschenkte Kaninchen.

Auch bei uns wurden Tiere nicht immer "ideal" gehalten.  Aber wir haben uns bemüht, zu erfahren wie die Anforderungen sind und den Meeries auch viel Freilauf zu ermöglichen. Ich denke, mit am coolsten war die "Burg" vor dem Terrassenfenster. Die Meeries konnten uns am Esstisch beobachten und wir die Meeries im "Burghof" - und immer, wenn wir am Essen waren, fanden sich auch Meeries im Burghof zum Fressen ein. Getoppt wurde das später nur von der riesigen Platte in meinem Zimmer, die eine umlaufende Kante hatte, damit das Streu nicht runterfliegt. Damit waren die Meeries auf Tischhöhe und fanden es gar nicht mal so schlecht. Jeden Morgen haben sich Keks und Joey begrüßt, das andere Meerie hat von weiter weg zugeschaut. In einer Zoohandlung bin ich dann vor rund 30 Jahren auch mal auf "guck mal, der sitzt da so einsam!" einen Papageien reingefallen, der dann mit "der braucht nur diesen Käfig und ein paar Sonnenblumenkörner, hier, die Cites-Bescheinigung!" verkauft wurde. Und natürlich viel, viel mehr brauchte. Nachdem meine Tochter dann Pseudo-Krupp-Anfälle bekommen hat, habe ich ein bisschen länger gebraucht um für den Vogel ein tatsächlich fachkundiges und artgerechtes Zuhause zu finden. Eine Auffangstation vor allem auch für Papageien aus "der braucht nur..."-Tierhandlungen. 

Es ist völlig in Ordnung, kein Fleisch zu essen. Aber wer denkt, dass er damit „Tierleid“ verhindert, wenn ein Tier, das auf einem Betrieb unter ständiger Kontrolle aufwächst, bis es unter ruhigen Bedingungen zum Schlachthof gefahren wird, wo es dann auch erst einmal aufgestallt wird, bevor es dann mit einem Schuss oder einem Elektroschock schnell getötet wird, der liegt in den allermeisten Fällen einfach komplett falsch. „Ich möchte nicht, das für mein Essen ein Tier sterben muss!“ ist besser. https://www.youtube.com/watch?v=-82blrDg3w0 Hier habt ihr ein Video eines größeren Schlachtbetriebes, das zeigt, wie so eine Schlachtung abläuft. Es gibt in dieser Reihe noch ein paar mehr Videos zum Thema. Man muss es nicht gut finden, aber es hilft vielleicht, Dinge etwas differenzierter zu sehen.

Denn das tatsächliche Tierleid kann eben schon ein paar Meter weiter stattfinden – ist aber nicht so spektakulär wie Landwirtschaft. Es ist einfach, anzuprangern, was „weit weg“ ist – aber eben viel problematischer, zu sagen: „Oh, Mist, wir müssen jetzt den kleinen Kaninchenstall vom Fressnapf entsorgen, weil der viel, viel, viel zu klein ist!“ oder sich einzugestehen „Ach scheiße, ich habe voll Mist gebaut, das niedliche Tierchen ist eigentlich voll die Qualzucht!“ oder eben auch zu sagen: „Wir können jetzt ein paar Dinge nicht machen, weil unser Haustier zum Tierarzt muss und das kostet einfach sehr viel Geld!“. Gleiches gilt für Haustiere bei Familienmitgliedern, Freunden oder wem auch immer. Wer dort wegschaut, hat moralisch nicht das Recht, pauschal diejenigen anzuprangern, deren Tiere und Tierhaltung weit öfters kontrolliert wird als Haustierhaltung.

Meine Meinung.




Bilder: Pixabay