Sonntag, 4. Juni 2017

Gastbeitrag: Janet geht einkaufen...


Da nicht jeder Mensch Facebook hat und schon gar nicht jeder Mensch in einer Assistenzhundegruppe ist oder Janet Jenny kennt, hier ein Gastbeitrag von ihr. Janet hat PTBS und einen Assistenzhund. Vor ein paar Tagen hat sie auf Facebook geschrieben, wie bei ihr ein Einkauf abgelaufen ist. Das fand ich sehr eindrucksvoll – und manches davon kenne ich auch. Da mir ja mittlerweile schon eine ganze Menge an den Kopf geworfen wurde von „du spinnst“, „du willst dich nur wichtig machen“, „du willst nur provozieren“, „du stellst dich nur an“ und so weiter bin ich ganz froh, dass Janet so offen darüber berichtet, wie es ihr beim Einkaufen ergeht. Nicht immer, aber immer mal wieder. Genau wie mir. 







Heute war das Einkaufen wieder ein Horrortrip für mich, viele fragen mich oft, was ist da so schlimm daran? Nur wenn man öffentlich darüber spricht, können Mitmenschen Leute mit Borderline und PTBS ein bischen verstehen. Also, auch wenn ich mich zutiefst für meine Krankheit und Schwäche schäme. MEIN HEUTIGER EINKAUF:

Ich muss einkaufen fahren, schon die Gedanke daran macht mich nervös. Ich schreibe mir einen Einkaufzettel, damit es dann schnell geht. Bei der Einfahrt zu Unimarkt sehe ich, dass da mehr Autos parken als sonst am Vorrmittag. Ich überlege umzukehren, weil es viele Leute im Geschäft bedeutet. Ich muss aber einkaufen, da mein Sohn mit Freundin am Wochenende bei mir sind. Wäre ich alleine daheim, würde ich lieber nichts essen, als jetzt da rein zu gehen.

Also parke ich ein, hole Lucky raus, spüre wie sich mein Magen zusammen zieht und ich nicht ganz klar die Umgebung wahr nehme. Lucky stupst mich mit seiner Nase und schaut mich an. Ok ich hole Einkaufswagen und wir gehen rein. Gleich am Anfang beim Obst und Gemüse stehen viele Menschen. Ich fange an zu schwitzen, mein Magen zieht sich noch mehr zusammen, meine Hände zittern. Ich stelle mich in eine Ecke und streichle Lucky. Rede mit ihm, um mich zu beruhigen. Manche Leute die vorbei gehen, schauen mich missbilligend an.

Ich hole schnell Obst und Gemüse und schiebe den Einkaufswagen zu den Kühlregalen, Lucky beobachtet mich immer intensiver. Ich brauche Milch, parke den Einkaufswagen seitlich von mir um Schutz zu haben, Lucky stellt sich hinter mir, ich greife zu Milch und plötzlich schreit ein Mann voll laut hinter mir seinem Sohn hinterher. Ich erstarre, mein Herz rast, ich bekomme kaum Luft, meine Beine geben fast nach. Ich halte mich an Einkaufswagen fest, bitte nicht umkippen! Lucky springt mich an... es dreht sich alles.

Ich stehe an der Fleischtheke, Lucky spring mich an, Vekäuferin schaut mich fraglich an und sagt ewas. Scheiße, ich habe anscheinend dissoziiert. Zum Glück hat mich Lucky zurück geholt. Minutenlanger Blackout. Ich drehe mich um und schiebe schnell den Einkaufswagen irgendwo hin, wo niemand ist. Die Tränen steigen mir in die Augen, bitte nicht heulen! Ich hole etwas vom Regal herunter und zwinge mich dazu, zu lesen, was drauf steht, um mein Hirn wieder in hier und jetzt zu holen. Lucky drück sich mit seinem ganzen Körper an mich und stupst mich damit ich ihm streichle. Das streicheln beruhigt. Mein Herzschlag wird wieder normal, ich schaffe das Weinen zu unterdrücken.

Ich bin aber nicht richtig bei mir, hole noch schnell die restlichen Sachen die ich brauche. Ich zahle schnell und renne fast mit dem Einkaufswagen zum Auto. Schnell alles in den Kofferaum. Lucky nehme ich zu mir nach vorne. Ich ziehe die Türe zu sperre ganze Auto ab, dann bricht die Anspannung. Ich sitze im Auto am Parkplatz vor dem Unimarkt und heule voll Lucky ins Fell. Ich zittere, mir ist übel, ich bin völlig erschöpft. Nach dem die Spannung nachlässt, hole ich mein Sudokuheft und sitze weitere 15 min. im Auto, bis durch das Sudoku mein Bewusstsein wieder 100 % da ist. Erst dann kann ich nach Hause fahren. Für den restlichen Tag bin ich völlig erschöpft und das "nur" durch 20 Minuten einkaufen.

Und so geht es Vielen, die eine Traumastörung haben. Jegliche für Andere banale Alltagsdinge sind für uns ein ständiger Kampf. Alles passiert versteckt in unserem Inneren, weil das Schlimmste für jeden PTBS-Betroffenen ist die Vorstellung, dass jemand erahnen könnte, was in uns vorgeht. Denn dadurch fühlt man sich noch schwächer und angreibarer - das steigert die Angst vor Menschen.


In vielen Kommentaren auf Facebook waren die Leser berührt, wieviel Mut sie aufgebracht hat, ihre Gefühle öffentlich zuzugeben. Das finde ich auch. Es ist für viele Menschen nicht einfach zu sagen: "Das bin ich und es geht mir genau so...". Denn ja, damit wird man angreifbarer, insbesondere, wenn man ohnehin nicht so stabil ist. Vielen, vielen Dank also an Janet Jenny, dass sie so offen ist. Ich hoffe, dass es ein bisschen dazu beiträgt, besser zu verstehen, wie es Menschen mit PTBS geht, wie sie ihre Umwelt erleben und was sie einfach total stresst.