Montag, 8. März 2021

Mit Herrn von Ribbeck auf dem Boden der Tatsachen

Eigentlich wollte Nick ja mehr über Landwirtschaft lernen, als er auf dem Bauernhof der WfbM gearbeitet hat. Sein Wunsch war es, irgendwann vielleicht auf einen regulären Betrieb wechseln zu können. Deshalb war klar, dass ich auch mit Nick Dinge lernen werde, die mit Landwirtschaft zu tun haben. Einiges muss ich dafür erst einmal selbst lernen. Wir haben also überlegt, was Nick an Grundlagen brauchen würde, um irgendwann eine Chance auf einem normalen Betrieb zu haben. Landwirtschaft ist ohne Boden nichts. Also Bodenkunde.


Schloss Ribbeck mit Uffwuff, dem Filzhund davor.
Uffwuff vor Schloss Ribbeck


Bei Besuchen in Naturparkhäusern und Museen gibt es oft große Tafeln vom Bodenhorizont der Gegend, die gut erklärt werden. Die alleine sind schnell langweilig, auch wenn sie aussehen wie moderne Kunst. Aber im Zusammenhang mit anderen Dingen helfen sie zu verstehen, warum unser Boden, unsere Erde, so wichtig ist. Um euch aufzuzeigen, wie schnell man etwas völlig falsch sehen kann, erkläre ich euch jetzt mal (m)eine Version von „von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum auf seinem Grabe stand“:


Viele von euch kennen die Geschichte von Herrn von Ribbeck, der den Kindern immer eine Birne gegeben hat. Wenn ihr das Gedicht irgendwo mit Bildern seht, dann seht ihr einen netten alten Herren in sauberen Kleidern, dralle Kinder und alles ist schön wie im Bilderbuch. Ich habe mich etwas mit der Kolonialisierung des Moores dort befasst und wie früher dort die Landwirtschaft war.


Und es war nicht diese Bilderbuchidylle, die man überall vorgesetzt bekommt. Ich mag Fontane nicht. Ich finde, in vielen Dingen wird er maßlos überschätzt, auch wenn er viel über das Leben in der Mark geschrieben hat – manches ist endloses, langweiliges Geschwafel vom einem Kerl, den man heute schlichtweg einen egoistischen und verantwortungslosen Blödmann nennen würde.


Zu den zwei Sachen, die er dann tatsächlich gut hinbekommen hat, gehört, dass er das Ribbeck-Gedicht bekannter gemacht hat. Als ich mich also mit der Kolonialisierung beschäftigt habe und wie damals die Landwirtschaft war, habe ich geschaut, wann der von Ribbeck gelebt hat. Und das eigentliche Drama – denn das war es – hinter der Geschichte von Herrn von Ribbeck und den Birnen gesehen. Das bewegt mich immer noch tief. Denn Herr von Ribbeck hat dafür gesorgt, das diese Kinder, die bettelarm waren und mit Sicherheit in elenden Verhältnissen gewohnt haben und eben NICHT Bilderbuchmäßig drauf waren, ein Stück Essen zum Überleben hatten. Wahrscheinlich oft das Einzige, was sie an dem Tag überhaupt zu Essen hatten.


Es war die „kleine Eiszeit“. Viele Pflanzen haben diese Eiszeit nicht überlebt – Ernten sind über Jahre ausgefallen und das, was geerntet werden konnte – und auf Moor ist nicht viel gewachsen – dass hatte z. B. bei Getreide ein ganz anderes Kornverhältnis als heute. Heute hat eine Ähre zum Beispiel 12 oder 18 Körner. Also aus einem Korn, das man säht, bekommt man über 10 neue Körner. Das ist gut. Das Getreide zu von Ribbecks Zeiten hatte aber ein ganz anderes Verhältnis. Das hatte oft nur 3 oder 4 Körner und die Flächen waren auch viel, viel kleiner. Man sagt, von Ribbecks Birne wäre die Melanchthon-Birne gewesen, weil diese Birnensorte mit als einzige die kleine Eiszeit überlebt hat.


Und mag sein, dass der junge von Ribbeck dann keine Birnen verteilt hat. Aber er hatte selbst nicht viel – und musste letztlich selbst sehen, wie er über die Runden kommt. In Krisenzeiten zeigen viele Menschen ihr wahres Gesicht. Sehen wir ja gerade an der Pandemie. Warum also wird ein Mensch, der selbst überleben will, als böse hingestellt, weil er das bisschen, was er selbst hat, nicht länger mit anderen teilt? Denn auch er war ja von der Hungersnot betroffen und das imposante „Schloss Ribbeck“, dass heute in Ribbeck steht, ist erst viel später gebaut worden. Vorher war es ein schlichteres, wenn auch größeres Bauernhaus. Das war damals zwar auch schon „mehr“ - aber eben „nur“ ein größerer Hof – und der Arbeitgeber für die Familien rundherum.


Das Leben auf dem Moor war früher sehr speziell, weil natürliche Moorgebiete sehr unwirtliche Gegenden sind. Das, was dort freiwillig wächst, reicht oft hinten und vorne nicht aus um Menschen zu ernähren. Deshalb musste man das Moor erst einmal urbar machen. Also Flächen roden, entwässern – und einen Boden schaffen, auf dem überhaupt erst Ackerbau betrieben werden kann. Die Siedler haben ihre Schafe tagsüber im Moor weiden lassen. Nachts wurden diese Schafe in die frisch eingestreuten Schafställe gesteckt. Wohl gemerkt: Die Ställe wurden frisch gestreut, aber eben so lange nicht ausgemistet, bis die Schafe kaum noch hinein konnten.


Dann hatte man in den Ställen letztlich ein Gemisch aus Schafsdung, Torf und was nicht alles zum Einstreuen genommen wurde – und DAS wurde dann als Erde ausgebracht, die so nährstoffreich war, dass man etwas anpflanzen konnte. Leben im Moor war früher unglaublich hart. Es gab ja noch nicht einmal wirklich gutes Wasser – denn Moorwasser ist einfach ein saures, braunes muffiges Wasser. Ich kenne noch Bauernhäuser, an denen es „Gänsewein“-Tanks gab. Große umgebaute Wasserboiler mit Filterschichten aus Kies, Sand und Kohle um das Wasser genießbar zu machen.


Meine Mutter hatte sich das Buch „Meine Kinder essen Torf“ gewünscht. Das hat sie 1962 oder so mal gelesen. Ich habe es in einem Antiquariat gefunden, gekauft, gelesen – und war einfach tief berührt. Denn auch das ist eine Beschreibung, wie früher gelebt wurde. Aber eben in Friesland. Bettelarm in den großen Torfabbaugebieten.