Donnerstag, 27. Mai 2021

Die ersten Wochen mit dem Sacco-Cart

 sind um. Es hat sich auch ein bisschen was getan!


Mittlerweile wissen wir, wie wir das Sacco-Cart am besten und schnellsten in den Berlingo bekommen. Es liegt auf der Seite und dann diagonal. Zu zweit bekommen wir es recht problemlos in den Wagen und müssen dann nur kurz die Positionen wechseln, damit ich das Vorderteil im Auto kippen kann um dann "den Arsch zu drehen" und es schräg zu stellen. Danach kommt Joey ins Auto, der im Moment durchs Cart durchklettern muss, weil ein Türgriff kaputt ist. Der wird nächste Woche repariert. Aber Joey hat ganz schnell verstanden, was er soll und klettert problemlos durch das Cart. 

Getan hat sich etwas bei einem der Bügel. Die ersten zwei Touren haben wir den ja komplett gehabt, was dann doch ziemlich unangenehm wurde, weil er ja auf Hunde ausgerichtet und gebogen war. Da die Zugbügel aber zusammengesetzt sind, hat mein Bruder uns einen davon dann auseinander genommen und den gleich noch ein bisschen gerichtet. Danach hatte ich halt einen kürzeren Bügel, der dann auch "hüftfreundlicher" auseinander war und mit Karabinern und Tüddelbändern an meiner Hüfttasche befestigt wurde. Aber irgendwie so ganz das dolle war es nicht.



Dann hat Sylvia sich gemeldet, die Eigentümerin vom Cart und hat mir geschrieben, dass ich einen Bügel auch gerne umbauen könnte, wie ich das bräuchte. Das wäre kein Problem, wenn ich den auseinanderflexen würde. Hach! Nun, geflext habe ich den nicht, aber die Dekupiersäge hat ihren Dienst getan und vom Bügel den Bogen entfernt. Damit hatte ich dann faktisch zwei L-Formen. Noch etwas Gewebeklebeband um die Kanten abzudecken und alles erst mal mit Kabelbindern provisorisch befestigt, war es gleich viel besser! 

Die erste Tour mit der Variante haben wir in Bischofsbrück gemacht. Da hatte ich das noch an der Hüfttasche und den Rucksack hinten am Sacco. Allerdings ist mir die Tasche dann immer heruntergerutscht  und wenn nicht das, hat die Schnalle sehr unangenehm in den Bauch gedrückt. Also auch doof. Aber generell haben wir da den ersten Feldweg mit Gras gemeistert. Das ging gut, bis der nicht mehr von Treckern befahren wurde, dann wurde er so unwegsam, dass ich kapituliert habe. 

Also zurück. Das Tolle ist auch, dass wir relativ leise unterwegs sind und so viel sehen. In Bischofsbrück also auch Feldhasen. Zum Glück hat Joey die NICHT gesehen. Beim Auto haben wir dann eine kurze Pause gemacht, Trinken rausgeholt und dann sind wir noch etwas die Straße Richtung Vrees hoch. Aber da hat es mich irgendwann einfach nur noch genervt mit der Tasche, dass ich auf den Rucksack gewechselt habe. Das war dann viel besser! Der hat ja ein richtiges Tragesystem und mit ein bisschen "herumgebastel" während des Ziehens habe ich dann aus den erst steil verlaufenden Rohren die so hinbekommen, dass sie nicht so steil verlaufen, dass die vorderen Griffe nerven, sondern dass es wirklich angenehm und einfach zu ziehen ist. 



Wobei einfach immer auch relativ ist, denn ich ziehe ja ungefähr 100 Kilogramm Gewicht und selbst "leichtlaufend" ist das doch eine ganz schöne Masse, die je nach Rollwiderstand des Untergrundes verdammt anstrengend werden kann! Wie anstrengend, haben wir dann Himmelfahrt gemerkt, als ich "boah, da MUSS ein Weg sein, das sieht richtig toll aus!" einer Treckerspur über einer Weide mit hohem Gras gefolgt bin. Einer Hochmoorweide. Schön nass. Aber auch der Moorlehrpfad nach drei Tagen Regen hatte es in sich und mich irgendwann zum kapitulieren gebracht. Aber wir sind immerhin deutlich weiter gekommen als wie mit dem Rolli. 


Gleich nach dem Grasland haben dann die Kabelbinder an einer Seite die Nase voll gehabt. Kann ich verstehen, aber GS-Agri ist dein Freund und hat auch Einzelschrauben da, um dem ganzen wieder eine feste Verbindung zu geben. Dabei hat mir Fabi geholfen, mein Schwiegersohn (boah, das klingt so uralt...). Als ich dann das Sacco bei der nächsten Tour wieder zusammengebaut habe, dachte ich erst: "Mist, die Griffe sind jetzt verkehrt herum dran!". Aber dann hat sich herausgestellt, dass sie so, wie sie jetzt sind, genau richtig sind! 

Die längste Tour bislang war rund 4 Kilometer. Es war eine "oh, guck, es hat aufgehört zu regnen, lass und noch eben eine Runde fahren!"-Tour. Wir sind losgezuckelt hinten zur Marka hin. Blauer Himmel, alles schick.  Nach etwas über einem Kilometer hat es leicht genieselt. Nach 2 Kilometern geschüttet. Wir mitten drin. Aber mit Regencapes! Die hatte ich nämlich dabei. Erst Nick eingepackt, dann mich und unter dem Regencape dann Rucksack auf und Schallen einklinken. 

An der Schule in Markhausen war dann endlich ein Bushäuschen wo wir uns unterstellen konnten. Nick hatte sich die Kapuze vom Cape komplett über das Gesicht gezogen und schon seit über einem Kilometer nix mehr mitbekommen. Außerdem steckte er in seinem Fußsack, der ist auch regendicht. Wir sind dann im Regen weitergezuckelt um festzustellen, dass es 200 Meter vor unserem Haus aufgehört hat zu regnen, blauer Himmel, weiße Schäfchenwolken, lieblich blinzelte die Sonne. Aber hey, 4 Kilometer geschafft!

Eine andere Tour war in Lindern, wo wir das zweite Steingrab, die "Steinkiste" im Wald gefunden haben. Das war jetzt an Pfingsten. Ich freue mich immer, wenn wir zu ruhigeren Zeiten die Chance haben, irgendwo bei Ställen auf einer befestigten Fläche zu parken und da auch keinem Trecker ins Gehege kommen. Das ist für mich viel einfacher und für Junior auch. Wir hatten dann 2,6 Kilometer, einschließlich Trampelpfad quer durch den Wald. 

Das Sacco ist ja eigentlich eine Kutsche für Hunde oder Shetty - und gerade was Hunde anbelangt, habe ich dann mittlerweile Respekt vor deren Zugleistung, sofern nicht klar ersichtlich ist, dass irgendein Vollpfosten seinen Hund vor so einem Teil verheizt, weil er ihn komplett überfordert. Es ist kein Problem, mit kleineren und leichteren Hunden Zughundesport zu machen. Bikejöring oder Canicross gehen sogar mit ganz kleinen Hunden und da kann Mensch dem Hund auch super helfen. Aber Menschen, die denken, so ein Bordercolli wäre ein bärenstarker Hund kann es kräftemäßig problemlos mit einem Entlebucher, Berner Sennen oder Neufi aufnehmen oder gar mit einem Shetty - einfach nein.

Das Schöne an einer allgemeinen Zughundesportgruppe ist, dass dort auch immer Leute sind, die Wettkämpfe mitmachen. Ohne Musherprüfung kann man in kaum einem Wettkampf starten, das ist einfach eine Grundvoraussetzung, dass man nachweist, dass einem der Hund und der Sport nicht völlig egal sind, sondern man sich mit den Grundlagen des Hundes, des Tierschutzes und des Sportes befasst hat. Entsprechend sind in "meiner" Gruppe Neulinge oft auch wirklich gut beraten. Nicht immer ganz nett formuliert, aber da gibt es auch durchaus mal "klare Kante" bei Dingen, die so gar nicht gehen. Das schätze ich sehr. Seit dem ich einen sichtlich erschöpften kleinen Hund vor dem Sacco in einer anderen Gruppe gesehen habe, es als "tolle Leistung" angesehen wurde und als "selbstverständlich schafft der das" noch viel mehr. Auf meinen Einwand mit meiner EIGENEN Zugerfahrung wurde mir dann geantwortet, ich müsste einfach nur schneller laufen, weil wenn man langsam läuft, dann würde man es ja immer neu anziehen. Ah ja! Gut zu wissen mit welchen Argumenten solche Leute das Verheizen ihres Hundes vor sich und anderen rechtfertigen und dafür noch Applaus bekommen. 

In "meiner" Gruppe hätte ich zu dem Bild und dem Posting mindestens 5 Meldungen mit "lösch das bitte, das ist kein Vorbild!" bekommen und es wären sehr, sehr klare Worte gefallen. Wobei ich das Bild nicht gelöscht hätte, sondern sehr klar kommuniziert hätte, dass ich es wichtig finde, wenn auch schlechte Beispiele gezeigt werden. Das habe ich schon öfters so gehandhabt, denn man lernt an schlechten Beispielen eine ganze Menge, wenn diese gut erklärt werden!

Weil es aber immer wieder Fragen dazu gibt, wie ich das Sacco ziehe, jetzt noch eben ein paar gewünschte Antworten dazu:

"Für wieviel Kilo ist der Wagen ausgelegt?" Laut Hersteller ist der Wagen für bis zu 150 kg auf unebenem Gelände ausgelegt. Da der Wagen aber selbst etwa 30 - 35 kg wiegt, wäre die Gesamtlast dann rund 180 kg. Das kann ich einem Shetty zumuten, für normale Hunde fände ich es aber durchaus eine enorme Zumutung. 

"Habt ihr eine angepasste Sitzschale?" Nein, haben wir nicht. Das Sacco-Cart hat so eine Art einfachen Gartenstuhlsitz, da haben wir eine normale Stuhlauflage drauf und wenn das Wetter kühler ist, auch den Rollischlupfsack. Das ist dann allerdings etwas "tricky". 

"Wo habt ihr das Sacco her?" Wir haben es als Leihgabe bekommen, was absolut klasse ist. Mit ein bisschen Glück findet man auch immer mal welche auf Ebay oder über entsprechende Gruppen auf Facebook. Mehr Infos findet ihr beim Hersteller unter saccowagen.ch

"Ihr könnt doch einen Motor dran bauen!" - Da es keine durchgehende Achse hat, ist das gar nicht so einfach. Aber selbst wenn es einfacher wäre, würde ich das nicht wollen. Denn ein Motor würde zwar Schubkraft liefern, wäre aber auch wieder zusätzliches Gewicht und vor allem zusätzliche Anschaffungskosten, und empfindlich. Ich denke, es ist gut, so wie es ist. Wir sind meistens sehr leise unterwegs, was zu tollen Naturerlebnissen führt und alles Andere ist auch Trainingssache. Es bringt mich an Grenzen und darüber hinweg - und wenn wir so eine Tour hinter und haben und es anstrengend war, dann bin ich auch wirklich stolz, das geschafft zu haben. 

Egal wie alle ich bin. Aber das, das habe ICH geschafft. Das ist ein Stück UNSERER Normalität, UNSERES Lebens, etwas, das UNS wichtig ist und für UNS Teilhabe bedeutet. Denn es ist das Eine, wenn jeder sagt: "Uh, natürlich sollen Behinderte am normalen Leben teilhaben dürfen!" - und es ist das Andere, dann auch den Mehraufwand mit zu wuppen. Sobald es unbequem oder anstrengend wird, sind nämlich dann alle weg. 

Die Zeiten, an denen irgendwer Nick außerhalb einer Klinik  im Rolli mehr als 5 Meter geschoben hat, die kann ich auch nach einem Jahr noch an einer Hand abzählen. Das könnte ich es ohne Corona übrigens auch. 


Dienstag, 4. Mai 2021

Von Sprache & Handeln

In einem Wohnheim für Behinderte sind vier Bewohner ermordet worden. Viele Menschen mit Behinderung regen sich in den sozialen Medien darüber auf, wie darüber berichtet und gesprochen wird. Auch viele Angehörige von Behinderten oder Menschen, die mit Behinderten arbeiten melden sich kritisch zu Wort. Es werden vor allem drei Dinge angeprangert:

  1. Es wird zu wenig darüber berichtet

  2. Wenn darüber berichtet wird, geht es vor allem um die Täterin. Nicht um die Ermordeten.

  3. Wenn es um die Ermordeten geht, dann wird die Tat verharmlost und es wird auf eine

    Sprache oder auf Ansichten zurückgegriffen, die auch in der NS-Zeit benutzt wurde und

    die damals die Ermordung von Behinderten als „gute für die Gesellschaft“ darstellte.

Sicherlich dauert es im Normalfall einige Jahrzehnte, bis sich in den Köpfen der meisten Menschen Dinge ändern. Bis sich Denkmuster und damit oft verbundene Redewendungen ändern. Wenn so etwas viele Menschen betrifft, geht das eigentlich relativ schnell. So sagt kaum noch jemand „Fräulein“ als Anrede. Der Begriff „Fräulein“ wurde 1971 per Erlass abgeschafft. Zwar wurde ich noch in der Schule und Ausbildung in den 80ern so angesprochen – aber mittlerweile wird er nicht mehr benutzt.

Auch solche Sachen wie „der/die braucht nur mal eine Tracht Prügel“, was früher wirklich oft zu hören war, gibt es nur noch selten zu hören. Wenn man es hört, weiß man gleich, an was für einen Menschen man geraten ist. Seit 2000 haben Kinder das Anrecht auf eine gewaltfreie Erziehung. Das „Züchtigungsrecht des Ehemannes“ wurde schon 1928 abgeschafft, die Vergewaltigung in der Ehe war bis 1992 straffrei. Danach wurde sie nur verfolgt, wenn die Frau ihren Mann dafür angezeigt hat. So etwas nennt man „Antragsdelikt“. Erst ab 2004 ist es ein „Offizialsdelikt“ und wird selbstständig vom Amts wegen verfolgt und geahndet.

Alles das hat sich mittlerweile in unserem Denken geändert. Damit hat sich auch der Sprachgebrauch geändert. Weil so ziemlich jeder mittlerweile weiß, das Gewalt keine Lösung ist und derjenige, der schlägt oder vergewaltigt, vor Gericht landen kann. Wenn sich das Denken und der Sprachgebrauch ändern, dann ändert sich auch das Handeln. Denken und Sprachgebrauch können sich aber erst dann in einem wirklich großen Umfang ändern, wenn immer und immer wieder über etwas gesprochen wird und viele Menschen es vorleben.

Natürlich wird auch viel über Behinderte gesprochen. Es gab auch in den letzten Jahrzehnten schon viele Verbesserungen. Aber es gibt mindestens ebenso viele Dinge, die behinderte Menschen und ihre Zugehörigen betreffen, die sich noch nicht geändert haben. Im März 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und sich damit verpflichtet, sie umzusetzen. Das ist 12 Jahre her. Nach wie vor wird ein großer Teil der Umsetzung einfach verschlurt und die Mahnungen der UN werden ignoriert. Hauptsache, man kann sagen: „Wir haben die aber unterschrieben!“. Eine UN-Konvention unterschrieben zu haben, macht viel Eindruck – was sie beinhaltet, interessiert allerdings nur die wenigsten Menschen. Das ist letztlich eine geschickte Taktik um Menschen zu täuschen.

Wäre es eine UN-Autofahrerkonvention – sie wäre binnen weniger Jahre umgesetzt worden und Millionen von Fußballexperten, die gerade zu Virologen und Impfexperten umgesattelt haben wären dann tatsächlich sehr fit im Thema „UN-Autofahrerkonvention“ und würden der Politik den Hintern heiß machen, damit bloß ihre Rechte gewahrt werden. Dafür würde auch die Automobilindustrie sorgen. Zumindest in den Bereichen, wo sie sich nicht selbst das Wasser abgräbt.

Aber was hat das jetzt mit den ermordeten Menschen aus dem Behindertenwohnheim zu tun? Sehr viel! Denn nach wie vor haben behinderte Menschen keine Lobby.

Also werden sie übergangen. Es wurde weit mehr über die Täterin berichtet als über die Opfer. Dabei wurde immer wieder herausgestellt, dass Menschen, die sich um Behinderte kümmern „viel leisten“. Solche Menschen sind „Helden“, „Heroen“, „Barmherzig“, „Berufen“ und es fallen Wörter wie „Mitleid“ und „Überforderung“ oder „Aufopferung“. Aber auch so Dinge wie „Erlösung“, „schweres Leid“, „traurig“ oder „im Himmel seid ihr frei“ kommen vor. Schlimm auch „meine Kinder“ wenn Pflegekräfte von erwachsenen Behinderten sprechen, um die sie sich in Wohneinrichtungen kümmern oder dass es auch hieß „in einem Krankenhaus wurden vier Behinderte ermordet“.

Wenn ich mir Berichte von Tierschützern durchlese, die Streunerhunde oder so aufsammeln und Tierheime haben, dann bekomme ich eigentlich die gleichen Begriffe in ähnlicher Konstellation genannt.

Viel Schlimmer: 1940 wurde die Aktion T4 beschlossen. Das hat nun nichts mit dem VW-Bus zu tun, sondern mit der gezielten Ermordung tausender Behinderter im 3. Reich. Weil man befand, sie wären „unwertes Leben“ und würden der Gesellschaft nur unnötig zur Last fallen und unnötig Geld kosten. Es wurde die Einstellung zementiert, dass Behinderte „traurig“ wären, ein „schweres Leid“ hätten, „unglücklich wären“ weil sie doch behindert sind und es einfach nur eine Qual für diese Menschen wäre, am Leben zu bleiben. Natürlich ging es auch um sehr viel Geld. Denn es wurde genau ausgerechnet, was so ein behinderter Mensch in seinem Leben monetär leisten kann da gegenüber gestellt, was er dem Staat kostet und wie viele Familien mit gesunden Kindern man von dem Geld unterstützen könnte. 



1940 ist nun über 80 Jahre her. Aber dennoch hat sich in den Köpfen vieler GESUNDER Menschen seit Jahrzehnten nach wie vor einiges von der Denkweise und der Argumentation aus dem 3. Reich eingenistet und wird völlig selbstverständlich benutzt – und an den Wörtern und Redewendungen, die nach wie vor einfach ohne viel nachzudenken benutzt werden, sieht man letztlich auch sehr gut, welche Stellenwert Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft tatsächlich haben.

Es ist jetzt nicht nur die Ermordung dieser vier Menschen aus dem Oberlinhaus, die es zeigt. So ziemlich jeder Mensch mit Behinderung bekommt es mit. Je fitter er im Kopf und je selbstbestimmter er leben kann, desto mehr. Die Eltern von behinderten Kindern bekommen es mit und mitunter gibt es innerfamiliäre Dramen, wenn einige Leute der Familie mit Ansichten aus dem 3. Reich aufwarten. Oder vermeintliche „Freunde“.

Als Nick nach dem ersten Hirntumor im Wachstum stehen geblieben ist, erklärte mir sein damaliger Arzt „der braucht Wachstumshormone, der bleibt zu klein. Kleinwüchsige Menschen haben keine Lebensqualität!“. Für einen Menschen von etwa 1,85 Meter Körpergröße und vor allem für einen Arzt ist das schon eine ziemlich harte Aussage! Ich meine, da hat man sein Kind, dass just einen Hirntumor überlebt hat, eigentlich noch auf der Kippe steht und dann kommt da so ein Arzt an und behandelt einen als ob das Kind nur ein Versuchskarnickel wäre und keinen Wert hätte. Weil es SEINEN Ansprüchen an einen Menschen nicht genügt. Der Kerl hatte nach der Aktion bei mir den Spitznamen „Doktor Mengele“ weg und ich habe oft überlegt, ob der echte Doktor Mengele einer seiner Vorfahren war.

Ich habe damals dann in einem Forum für Kleinwüchsige Hilfe gesucht. Ein ganz wunderbarer Mensch mit niedrigerer Körperhöhe hat ungefähr eine halbe Stunde lang recherchiert um meine Telefonnummer herauszufinden und wir haben uns wirklich sehr lange unterhalten. Er hat mir dann von seinen Erfahrungen, auch als Familienvater, erzählt. Das, was Ärzte ihm und seiner ebenfalls kleinwüchsigen Frau geraten und vor den Kopf geknallt haben. Auch das hatte sehr viel mit der Einstellung gegenüber Behinderten im 3. Reich zu tun.

Ich mache den Zirkus bislang „nur“ rund 19 Jahre als Mutter mit. Andere Eltern und Behinderte schon viel, viel länger. Von fast jedem hört man irgendwann „da hat sich nicht wirklich viel geändert!“. Auch Eltern von behinderten Kindern, die noch relativ jung sind, bekommen die tatsächliche Einstellung der Gesellschaft gegenüber Behinderten mit voller Wucht zu spüren. Das macht Angst. Es sollte eigentlich jedem Angst machen. Unbehindert zu sein, ist nichts, was einem ein ganzes Leben lang automatisch zusteht. Es genügt ein Bruchteil einer Sekunde, das zu ändern! Es kann auch die Folge einer Erkrankung sein.

Gerade Covid-19 hat für viele Menschen, die es bekommen und überleben, lebenslange Einschränkungen als Folge. Auf Twitter erzählt „Emergency Doc“ immer wieder von Fällen, wo Menschen selbst nach einem milden Verlauf schwere Organschäden oder Schlaganfälle bekommen haben. Die sind dann lebenslang behindert. Das sind nicht nur Einzelfälle, das sind sehr, sehr viele Menschen! Es ist auch nicht nur Emergency Doc, der davon erzählt, es gibt noch andere Ärzte und Pflegekräfte, Physiotherapeuten etc. die immer wieder von Fällen berichten, wo Covid zwar irgendwie überstanden wurde, die Menschen als „genesen“ gelten, aber für den Rest ihres Lebens mit irreversibel kaputten Organen leben müssen. Egal ob Lunge, Leber, Niere oder Hirn. 

Allein die Tatsache, dass manche Leute sagen: "Ach, dieser Mensch hatte schon eine VORerkrankung" und damit Menschen abwerten und ihren Tod quasi völlig in Ordnung finden ist ziemlich gruselig. Diese Menschen könnten ihre Eltern oder Großeltern sein, die besten Freunde, Kinder, Arbeitskollegen oder was und wer auch immer.  "Ach, der hatte eine Vorerkrankung" bedeutet ja auch: Bluthochdruck, Herzprobleme, Diabetes, Übergewicht, transplantiert sein, Demenz, Parkinson, Epilepsie, Asthma, Migräne, Krebserkrankung, Raucherlunge, Alkoholprobleme und viele, viele Dinge mehr! Sich da selbstgefällig hinzustellen und zu erklären, dass solche Menschen ja eh weniger Wert sind ist an Gefühlslosigkeit kaum noch zu überbieten!

Wer sorglos damit umgeht, Behinderte als „schwer leidend“ zu bezeichnen, denkt, dass Behinderte „erlöst“ werden, wenn sie sterben (oder brutal ermordet werden), „keine Lebensqualität haben“, wer der Auffassung ist „Behinderte sind immer so dankbar“ und „wie Kinder“, wer denkt es ist „Aufopferung“ sich um solche Menschen zu kümmern, das man dazu „berufen sein muss“ und diesen ganzen Krempel, der sollte sich spätestens jetzt dann mal Gedanken darüber machen, ob seine Denkweise und seine Ansichten wirklich noch zeitgemäß sind.

Denn jetzt ist es ja nicht nur ein Autounfall, vom Pferd zu fliegen, beim Skifahren auf einen Stein zu krachen oder bei Baden zu ertrinken was so klassisch als „wenn mir das passiert, kann ich für den Rest des Lebens behindert sein" das als Schreckensszenario über den „Gesunden“ schwebt. Es ist ein mieses kleines unsichtbares Virus, das ganz ohne viel sportliche Action oder Unfalldrama dafür sorgen kann, dass man plötzlich zu den Menschen gehört, die man immer irgendwie abgewertet hat. Wo man vielleicht insgeheim dachte: „Sozialschmarotzer! Die leisten ja nichts! Braucht kein Mensch, so etwas!“. Die Folgekosten der Pandemie für solche Menschen werden exorbitant sein. Und ein Ende von Corona ist noch gar nicht abzusehen!

Zusammen mit den Senioren, die zunehmend mit Einschränkungen durch Herzproblemen, Demenz, Diabetes, Parkinson oder Brüchen und so weiter zu tun haben, steuern wir gerade auf eine Gesellschaft zu, die in wenigen Jahren aus sehr, sehr vielen Menschen mit körperlichen und gesundheitlichen Einschränkungen bestehen wird. Binnen weniger Jahre werden tausende Menschen dazu kommen, wo es vorher vielleicht ein paar hundert gewesen wären – in einem System, das schon seit Jahren am Limit läuft.

Spätestens DAS sollte auch dem letzten Bürger langsam Angst machen. Heute habe ich irgendwo gelesen „wir sind hier nicht in Indien, wir sind in Deutschland!“. Tja, das mag ja sein. Aber wenn viele nach-Covid-Patienten aufgrund ihrer Lungenschäden dauerhaft unterstützend Sauerstoff benötigen, dann leben wir zwar in Deutschland, haben aber irgendwann das Problem, dass bei weitem nicht genügend ausgebildetes Personal gibt, das den enormen Anstieg von Menschen mit Sauerstoffversorgung wuppen kann. Es mag ja sein, dass man da viele Sachen auch selbst lernen kann. Aber sobald eine unvorhergesehene Situation kommt, ein Ventil kaputt geht, die Flasche plötzlich leer ist, etwas verstopft oder was auch immer, werden wir auch in Deutschland Menschen haben, die elendig zu Hause oder auf der Straße ersticken. Weil niemand schnell erreichbar ist, der es beheben könnte.

Aber ich bin sicher, dass dann die tausenden Fussballexperten, die in einem Blödzeitungsstudium binnen weniger Wochen zu Virologen und Impfstoffexperten umgeschult haben sich dann erheben, auf ihren Weber-Gasgrill weisen und sagen: Flasche ist Flasche, Sauerstoff kann ja nicht viel anders sein als Flüssiggas und es selbst regeln. Weil, sie sind ja schließlich Experten! 












Montag, 3. Mai 2021

Wieder geländegängig!

Es hat mich ja mehr und mehr genervt, dass wir mit dem neuen Rolli dann letztlich doch nur sehr begrenzt etwas machen können. Über Winter und mieses Wetter war das nicht ganz so derbe schlimm, aber so ab März / April hätten wir anderswo schon echt wieder irgendwelche Touren durch die Pampa gemacht. Okay, das haben wir auch versucht, aber wir sind mit dem Rolli halt jämmerlich gescheitert.

Zweite Tour: Eleonorenwald!
Wir haben sowohl Sandweg als auch Asphaltstrecke zur Auswahl

Also habe ich wieder überlegt. In Indien gibt es Rikschas, die von Hand gezogen werden. Gute Idee! Aber a) indische Rikschas sind riesig, aus Holz, sauschwer... und hier natürlich nicht zu bekommen. Dann habe ich überlegt: „So ein Ponysulky!“ Wobei es eigentlich scheißegal gewesen wäre, welche Definition man bei „Pony“ dann zugrunde legt. Als wir damals unser Shetty hatten, wollte ich auch so ein Ding haben und habe gegoogelt. Nun ja, es ist bestimmt sehr „interessant“ wenn Eltern ihren Kindern erklären müssen, warum da nun ein fast nackter Kerl mit Pferdemaske eine Kutsche mit einer fast nackten Frau drauf durch den Grunewald zieht.


Ziel im Eleonorenwald: Die Schutzhütte
War nicht weit, aber eindrucksvoll!

Letztlich habe ich damals meinen Papa gebeten, uns eine Kutsche zu bauen. Der kann schweißen, hat als Kind mit einem Pferd vor dem Wagen auf dem Bauernhof gearbeitet. Der kann auch Kutschen bauen! Hat er auch. Würde er heute noch fit genug sein, hätte er uns einen Sulky geschweißt.  Dessen bin ich mir sicher. Ist er aber nicht mehr und der übliche Shettysulky war dann zu groß und zu schwer.

Wieder beim Auto. 
Joey läuft am Besten wie üblich vor mir. 

Ich betreue aber letztlich auch die größte Zughundesportgruppe auf Facebook. Ich dachte, es ist einen Versuch wert, auch wenn es am eigentlichen Thema ja etwas vorbei ist. Aber viele Leute sehen halt mehr als ich alleine. Das war vor knapp zwei Wochen und es gab wirklich unglaublich rührende Reaktionen – und wir haben ein Sacco-Cart als Leihgabe bekommen! Das ist dann freitag mittag aus Bayern hier angekommen und hat sogar zwei Pulkascheren dabei. Joey fand es ganz spannend – aber er ist zu klein und zu leicht fürs Cart. Ein Hund sollte mindestens 50 cm groß und so ab 30 / 35 kg schwer sein um es zu ziehen.

Gestern in Augustendorf. Zugtiergespanne verboten.
Wenn mich jemand als blöde Kuh beschimpft, sind wir aufgeflogen! 

Nicht sicher war ich, ob ich beim Berlingo eine Sitzbank ausbauen muss, damit es hinein passt. Brauche ich nicht, es passt auch so und es bleibt auch noch ausreichend Platz für Joey. Mittlerweile haben wir die 3. kleine Tour mit dem Sacco-Cart gemacht. Dabei tüfteln wir vor allem an der optimalen „Anspannung“ für mich – und auch, wenn das Sacco sich tatsächlich recht leicht ziehen lässt – es ist dann doch ungewohnt und damit erst einmal etwas anstrengend.

Da es anderswo zum Glück relativ üblich ist, dass Menschen mehr als Bollerwagen ziehen und die Wanderwagen oder Pulkas auch nicht ausschließlich mit der Hand gezogen werden, kann ich dort auch Dinge abgucken. Heute haben wir dann ob des Wetters noch den Fußsack mit aufs Cart gepackt, auch das ist kein Problem und den Wanderrucksack kann ich hinten dran hängen. Auch sehr gut! Ebenfalls haben wir heute die ersten Schlaglöcher auf Waldwegen getestet. Aus dem Rolli hätte es Nick komplett rausgehauen, so war es ein bisschen ruckeln und gut.