Dienstag, 22. November 2022

Nick lebt nicht mehr

 

Das Jahr ist fast schon wieder um. Keine Ahnung, ob hier noch irgendwer mal draufguckt. Vielleicht bekomme ich ja auch endlich wieder „die Kurve“, etwas mehr zu bloggen.

Der Sarg wurde mit den gesammelten Händen beklebt


Ich denke zwar, dass es alle mitbekommen haben sollten, aber ich schreibe es lieber noch mal – Junior ist am 22. Juli gestorben. Heute vor vier Monaten. Es waren vorher noch etwas anstrengende Wochen, weil der Tumor irgendwie in hoher Geschwindigkeit für alle möglichen Einschränkungen gesorgt hat. Nun ja, ich bin auf der einen Seite sehr traurig, dass er gestorben ist. Auf der anderen Seite – er hätte eigentlich schon vor 20 Jahren irgendwie die Folgen der Hirntumorerkrankung nicht überleben sollen, den Prognosen nach. Wir hatten also noch richtig viel Zeit zusammen, die andere Eltern mit ihren Kinder nicht hatten.


Dann ist ja Corona und „Medizin brennt“. Wir haben bei allem Mist noch echt Glück gehabt, eine halbwegs adäquate Versorgung zu bekommen, aber eben auch gemerkt, wie schlimm es zunehmend geworden ist. Von daher bin ich echt froh, dass er zu einer Zeit gestorben ist, in der wir beide auf einer Palliativstation dann wirklich gut versorgt waren. Das war nach der Zeit vorher eine enorme Entlastung und wir haben dort zusammen ein Zimmer gehabt, dass ich auch dort rund um die Uhr bei ihm sein konnte. Jeden Tag sind Kai, Marie und Alfred gekommen und kurz nachdem dann auch Merle mit ihrer Familie aus Hessen da war, ist Nick gestorben. Bewusst hat er sie schon nicht mehr mitbekommen, aber ich bin sicher, er hat bemerkt, dass sie da waren, die Berührungen gespürt und die Worte gehört.


Wir hatten dann noch ein paar schöne gemeinsame Stunden als Familie im Zimmer auf der Palliativstation, das würdevoll hergerichtet wurde. Nachdem Nick gestorben ist, sollten Kai und ich für einige Zeit aus dem Zimmer, damit die Pflegekräfte Zeit haben, die Zugänge zu entfernen und ihn wie schlafend ins Bett zu legen und mit der Kuscheldecke zuzudecken. Ich dachte immer, es wäre viel schwerer für mich, wenn er gestorben ist. Aber es war (und ist) traurig – aber gerade die intensive Zeit vorher und die Möglichkeit, mit ihm nach seinem Tod noch Zeit inmitten der Familie zu verbringen, die hat alles auch irgendwie leicht gemacht und das war gut so.


Abends haben wir uns dann von ihm verabschiedet. Wir sind alle nach Rastede gefahren und haben uns Kram von Mäcces reingezogen und er ist in den Krankenhauskeller in die Kühlung gekommen. Am nächsten Tag hatte mein Vater Geburtstag und hat etwas größer gefeiert, damit dort kein Mist erzählt wird, bin ich dann dort hingefahren. Es war okay und letztlich hat es mir auch gut getan.


Am Sonntag waren wir dann alle im neuen Friedwald in Cloppenburg, wo Nick beerdigt werden sollte. Da es aber mit Kinderwagen etwas schwierig war, haben wir nur den vorderen Abschnitt genauer angeschaut und uns dann irgendwie auf dem Trimm-dich-Pfad verlaufen.


Zwei Tage später hatten wir ein Gespräch beim Bestatter. Das war ziemlich interessant, weil das zwar ein Traditionsunternehmen mit weit über 100 Jahren Erfahrung ist, aber so ein Unternehmen mit über 100 Jahren Erfahrung kann nicht direkt Preise nennen. Die halten ihre Kunden auch irgendwie für dumm. Ich will mich über solche Blödmänner nicht weiter aufregen, das habe ich genug getan, wer wissen möchte, um welches „Traditionsunternehmen“ in Oldenburg er einen weiten Bogen machen sollte, wenn er nicht von vorne bis hinten belogen und ausgenommen werden will, soll uns einfach fragen. Oder aufpassen, wenn er von einer Autobahnabfahrt kommt und das Unternehmen kurz nach einer Tankstelle ist.



Was wir aber dort gemacht haben, war, Nick mit zu waschen, anzuziehen und in den Sarg zu legen. Das ist übrigens das Recht der Zugehörigen, sollte euch ein Bestatter erzählen, dass so etwas nicht geht, dann stimmt das nicht. Der Lichtblick in dem ganzen Bestattungsladen war dann auch derjenige, der mit uns zusammen dann Nick sargfertig gemacht hat. Das hat er auf eine wirklich schöne und rücksichtsvolle Art und Weise gemacht und auch viel dabei erklärt. Da wir gesagt haben, dass wir alles für den Sarg mitbringen und den noch gestalten wollen, war der Sarg auch unten nur mit Heu gefüllt (zum Flüssigkeit aufsaugen) und dann mit weißem Baumwolltuch ausgekleidet. Nick hat sein Kopfkissen mit Treckermotiv in den Sarg bekommen und als er dann im Sarg lag, hat er seine Bettdecke mit Treckermotiv als Decke bekommen. Es gab eine Maispflanze im Arm, die ungefähr so lang war wie der Sarg, dann ein Kräuterstrauß in die gut gekühlten Hände („Hier, halt mal, dann bleibt der länger frisch!“), ein Schweinchen von Marie, eine Fotocollage vom Korso, Salami, Bratwurst, Salzstangen, ein 10er-Pack Eier von Weidehühnern und ganz viele Papierkraniche von Merle.

Den Sarg haben wir mit allen gesammelten Händen beklebt, damit jeder, der wollte, ihn auf seinem letzten Weg begleiten konnte. Das war sehr schön und weil es im Aufbahrungsraum war, der kein Fenster hat, etwas anstrengend, weil der Sprühkleber ziemlich viel Lösungsmittel enthält. Bis jemand dann mal die Außentüre aufgemacht hat, damit frische Luft reinkommt.


Ein paar Tage später ging es dann nach Wilhelmshaven zur Feuerbestattung, da war ich mit Joey dabei und es war sehr würdevoll, festlich – und richtig interessant. Es ist nicht schlimm gewesen, denn im Sarg war zwar Nick – aber ich habe ja seinen durchgekühlten Körper beim Bestatter erlebt. Das war die Hülle von ihm. Aber da war nichts mehr, was wirklich sein Leben, seine Art und Weise ausgemacht hätte.