Montag, 9. Dezember 2013

Adventskalender 9. Dezember




Aus Freude am Gefühl...

„Das ist so ein richtiges Neuruppiner Urgestein!“ wurde mir erklärt „Der kann richtig viele Geschichten erzählen“. Damit war meine Neurgierde geweckt. 20 Minuten nach meinem Anruf saßen Nick und ich diesem „Urgestein“ gegenüber. Ja, Hans-Hermann Degener kann viel erzählen, auch sehr berührend erzählen. Von vor dem Krieg, als die Leute noch mit Pferd und Wagen in die Stadt gekommen sind oder im Winter mit dem Schlitten oder wie es war, als der Seedamm kaputt war und die Russen im Laden standen. Er erzählt vom Neuanfang, Wiederaufbau – von der Zeit, als der Betrieb halb verstaatlicht wurde, von der Wende – und von einem neuen Anfang. Mit 60.

„Sie können sich das nicht vorstellen, das muss man erlebt haben!“ sagt er. Stimmt. Ich habe es – zum Glück – nicht erlebt, aber es war mal wieder Fremdschämen angesagt. Das ist es öfters, wenn ich mitbekomme, wie mit den Versprechen auf „blühende Landschaften“ skrupellose Menschen aus dem Westen hier alles platt gemacht haben, weil sie allein ihre Ansicht von Marktwirtschaft und ihre Einstellung und Vorurteile über das Leben im Osten als das alleinige Seelenheil angesehen haben. Was ich recht gut nachempfinden kann: neu anzufangen. Mittlerweile sind Nick und ich darin ja quasie Spezialisten. Im Moment stecken wir immer noch im „dreieinhalbten“ Neuanfang. Aus fast Nichts das uns geblieben ist, eine Zukunft basteln und mit dem, was passiert ist, lernen klar zu kommen. Vielen Dank, Herr Degener! Sie haben mir gezeigt, das wir hier in Neuruppin damit eigentlich ganz gut aufgehoben sind. Vielleicht besser, als anderswo. Das man den Mut nicht verliert. Das man aus dem, was passiert ist, lernt und neu anfangen kann.

Aber eigentlich soll es jetzt ja um Kunst gehen – und Herr Degener beherrscht als gelernter Destillateur nicht nur die hohe Kunst, scharfe Schnäpse und den leckeren Klosterlikör zu kreieren, sondern wer mit „Nase und Zunge“ arbeitet(e), braucht einen Ausgleich. Das ist bei ihm die Bildhauerei. Das Gestalten mit Holz, Ton und Metall. Acht Jahre hat er gelernt, die verschiedensten Materialien zu be- und verarbeiten. Nebenbei, aus Freude und nicht, um davon irgendwie zu leben. 



In seinen Arbeiten steckt sein Herz und seine Liebe zum Material und Schaffen. Stolz zeigt er auf ein viereckiges Stück Holz. „Das ist ein Stück alter Balken aus einer Scheune, Eichenholz, daran habe ich verschiedene Techniken ausprobiert. Das kann man nicht verkaufen – denn dann würde es irgendwo herumstehen und niemand wüsste um den eigentlichen Wert, den es hat!“ stimmt ebenfalls. Wer mit so viel Liebe an seinen Stücken arbeitet, so viel Herz hineinlegt, für den ist fast jedes Stück auch wie ein Kind. Man kennt die Geschichte, weiß, wie es „gewachsen“, „entstanden“ ist und viele Erinnerungen hängen daran. Für 999 Menschen wäre es ein Stück Holz, das auf jeder Seite anders bearbeitet wurde – für einen einzigen Menschen ist dieses Stück Holz eine kleine Welt für sich. Nämlich für den, der aus einem vierkantigen Balkenrest diese kleine Welt erschaffen hat.

Es gibt viele kleine und große „Welten“ von Herrn Degener, die im Laufe vieler Jahre entstanden sind. Die Perestroika in einem Stück Stamm, Adam und Eva, kleine Metallfiguren. Auf einem Regalbrett ist ein Stück von einer Eiche zu sehen. Genauer: eine überdimensionale Darstellung von genau dem Ende eines Zweigleins, wo drei Eicheln in ihren „Körbchen“ gesessen haben. Es gibt kleine Tonbilder – und größere Tonbilder, einen Akt in Ton – und eine Büste „Das ist meine Mutter!“. Entstanden ist sie während der Ausbildung in Potsdam 1980. Da war er 50 Jahre alt und sollte für seine Gruppe ein Modell mitbringen. Das junge Mädchen, was dafür vorgesehen war, hatte sich kurzfristig krank gemeldet und so ist seine Mutter eingesprungen. Manchmal gibt es wirklich glückliche Umstände und das ist definitiv einer davon, denn die Büste ist einfach total schön geworden und für einen Familienmenschen, wie er es ist, eine tolle Erinnerung.




Wofür steht die Kunst von Hans-Hermann Degener? Was kann man von ihm lernen? Die Wenigsten werden wohl seine Stücke zu sehen bekommen. Das ist manchmal ein bisschen schade. Eines steht auf dem Parkplatz beim Tierpark Kunsterspring, ein Mahnmal.

Es gibt den Ausspruch „das ist eine brotlose Kunst“. Das bedeutet, jemand macht etwas, aber er bekommt dafür nicht so viel materiellen Gegenwert, das es ihn längerfristig satt machen würde. Wer Kunst macht und liebt weil er Freude am Schaffensprozess hat und an dem Material selbst, der wird sich überwiegend seinen Kühlschrankinhalt auf eine andere Art und Weise verdienen als durch seine Kunst. Was nicht bedeutet, das ein „Berufskünstler“ weniger Spaß und Freude daran hat – er kann sich nur nicht immer aussuchen, was er wirklich von Herzen und aus tiefster Seele gerne machen möchte. Denn Beruf ist das, was den Bauch satt macht und Berufung das, was die Seele satt macht. Beides kann man sehr lieben – aber nicht immer kann man auch beides perfekt miteinander verbinden. Das ist auch gut so – denn sonst gäbe es entweder keinen leckeren Klosterlikör (und einige andere Rachenputzer) oder keine kleinen und großen Kunstwerke des Hans-Hermann Degener.


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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.