Montag, 8. September 2014

Der Hummer im Kopf... oder auch: Warum ihr Kuchen essen gehen solltet.



Kuchen? Lecker! Hier hat der Bär gesteppt. Warum ihr nächstes Jahr hier mitsteppen sollt und warum ich ein toller Kerl bin, erklärt euch Frauchen jetzt mal


Nick hat einen Hummer im Kopf!“
- sein Kumpel Joost zu seiner Mutter, nachdem die Kindergärtnerin erklärt hat, warum Nick lange nicht mehr in den Kindergarten kommen wird.

Manchmal muss ich irgendwo eintragen, was die Grunderkrankung meines Sohnes ist. So steht auf der Zeile dann „Zustand nach Medulloblastom“ - und hinter den drei sachlichen trockenen Worten versteckt sich eigentlich eine A4 Seite an „Zustand nach“. Weil der „Zustand nach“ war, dass kaum irgendwelche Neben- und Folgeerkrankungen ausgelassen wurden. Mein Kind ist der lebende Beweis dafür, das Prognosen zwar die Summe der Erfahrungen bei einer bestimmten Sache sind... aber dass es manchmal auch ganz anders laufen kann.  Es war der 11. Geburtstag seiner großen Schwester, an dem unser Leben als Familie aus den Fugen geraten ist. 
Einen Tag später ging es mit Rettungswagen und Blaulicht nach „Ganzweitwegvonzuhause“. Die erste von mehreren solcher Fahrten. Zweieinhalb Stunden mit Blaulicht über Autobahnen, weil der Zustand kritisch ist, den Transport aber gerade eben so zulässt. Zwei Wochen später, kurz nachdem der Nikolaus mit dem Hubschrauber vor der Klinik in Ganzweitwegvonzuhause gelandet ist um auf allen Stationen die Kinder zu besuchen, war „mein“ Nikolausgeschenk, dass mir erklärt wurde, wie die Scheiße heisst. „Medulloblastom“ wurde mir mit ganz ernstem Gesicht vom Oberarzt erklärt. Das es gleichbedeutend ist mit Krebs, das habe ich damals erst später begriffen. 


Medulloblastome sind Hirntumore und damit eine der ungefähr 120 verschiedenen Krebsarten, die es gibt. Es ist ein Tumor des Zentralnervensystems. Da jeder Mensch eigentlich von klein auf lernt, wie empfindlich das Gehirn ist und das es eigentlich das Gehirn und seine Leistung ist, die uns Mensch sein lässt, haben Hirntumore im Prinzip schon eine besondere Stellung. „Was hast du denn schon für Probleme? Du hast dein Kind noch, meines ist gestorben!“ brüllte mich einmal eine Mutter an, deren Kind an Leukämie verstorben war. Damals war mein Kind ein schwerstbehinderter Vollpflegefall und es war klar, das es immer behindert bleiben würde. Sebastian war tot. Der hatte sein Leben hinter sich. Aber mein Kind und wir als Familie... wir hatten ein Leben vor uns, von dem nicht klar was, wie es wird. Das war das letzte Mal, das ich zu einem Treffen der Elterninitiative gegangen bin.

Wenn es bei der ganzen Sache etwas Gutes gibt, dann die, dass das Leben uns die ganze Sache in „kleinen Häppchen“ serviert hat. Im Nachhinein ist es, als ob du vor dem Mount Everest stehst, es nicht merkst das er das ist und einfach losläufst, weil der Weg des Lebens da nun einmal drüber führt. Und ja, die Luft wird verdammt dünn, wenn man weiter geht – und so ein Mount Everest sortiert ziemlich gnadenlos aus. Er wird zu einem Teil deines Lebens. Ob du drüber kommst oder nicht, ob du direkt betroffen bist oder Elternteil eines krebskranken Kindes. „Wind und Wetter“ so einer Erkrankung und der Folgen gerben nicht deine Haut – aber deine Seele und viele Stürme schmirgeln die Schutzschicht in manchen Bereichen mitunter papierdünn.


„Rudern gegen Krebs“ ist eigentlich auch wunderbar doppeldeutig. Denn das Leben gerät erst einmal völlig aus dem Ruder. Aber was ist das eigentlich? Warum soll man gegen Krebs rudern? „Rudern gegen Krebs“ ist eine Benefizregatta. Die Erlöse dieser Regatta werden unter anderem dazu aufgewendet, das Krebspatienten unabhängig davon, was sie für ein Einkommen haben und was sie von ihrer Krankenkasse zugebilligt bekommen, für sie begleitende und angepasste Sportangebote angeboten werden. Denn man kann sich aufgeben wenn man die Diagnose bekommt – und man kann kämpfen. Die Behandlung ist anstrengend, angepasste Sportangebote helfen, mit den Auswirkungen besser klar zu kommen. Es sind Moti-Vieren, die viele Patienten dringend brauchen!

Jeden Tag werden wir in Klatsch- und Tratsch-Blättern mit Berichten über Krebserkrankungen und vermeintlichen neuen Therapien konfrontiert. Besonders wenn irgendwelche Personen des öffentlichen Lebens an einer der vielen Krebsformen erkranken, kommt es mal wieder ganz dicke im Blätterwald. Betrifft Kinder weniger, aber Erwachsene, die das serviert bekommen. Egal ob direkt oder durch „wohlmeinende Angehörige/Freunde/Kollegen/whatever“.

Geht es um neue Therapieansätze, kräht die Presse schon extrem laut, wenn diese letztlich gerade mal abstrakt irgendwelchen Gehirnwindungen entschwunden sind und schürt leider oft falsche Hoffnungen. Das ist einfach so, denn auch solche Artikel lassen ein Blatt gut verkaufen. Dazu kommt, das Krebspatienten ein lukrativer Absatzmarkt irgendwelcher geschäftstüchtiger Wunderheiler ist, denen es eigentlich völlig egal ist, ob das, was sie da teuer verkaufen wirklich geeignet ist, ausgerechnet beim Kampf gegen entartete Körperzellen zu helfen – oder ob es letztlich einen Effekt wie Düngemittel für diese Zellen hat. 

Es gibt viele Gründe, warum man Moti-Vieren braucht um diese Krankheit durchzuhalten. Viele Gründe, warum man genau dann auch ein angepasstes Sportprogramm benötigt, das sicherlich wirkungsvoller ist, als irgendwelche Pflanzenextraktsäfte, deren wundersame Studien im Hinterland von Timbuktu gelaufen und deren Ergebnisse auf Sand notiert wurden. Oder die Papiere sind von wilden Tieren gefressen worden. Jedenfalls findet man sie nirgendwo. So ein Bewegungsangebot ist auch wirkungsvoller, als wenn man in der ganzen Therapiezeit hundert mal „ach, Kopf hoch, das schaffst du schon!“, „Das Leben geht weiter“ oder „ach Gott, ach Gott, wie schlimm!!!“ hört. Sport motiviert Körper und Seele und Sporttherapeuten sind wichtig, aber oft eben nicht im regulären Klinikbudget oder in der Kassenleistung drin (genau so wenig wie Klinikclowns).


In Neuruppin hat diese Regatta schon zum 7. Mal stattgefunden. Dieses Jahr haben wir sie das erste Mal miterlebt – und es ist ein Volksfest, auf dem viel los ist. Die Promenade leuchtete in weiß-blau. Die örtliche Filmcrew hatte einen Leiterwagen organisiert, aufgestellt und Bilder aus einer Kamera zum Teil sofort auf eine große Leinwand übertragen, Es gab Musik und Ansagen aus großen Lautsprechern (danke für die Trainingseinheit mit Joey), Kinderbelustigung, Erwachsenenbelustigung und so weiter.

Nächstes Jahr wird es sie sicherlich wieder geben. Wenn ihr mir und an Krebs erkrankten Leuten einen Gefallen tun wollt – geht hin. Und stopft euch lieber den Mund mit Benefizkuchen voll, anstatt auf die Idee zu kommen, zu einem Krebskranken „ach Gott ach Gott wie schliiiiimmm!“ zu sagen oder irgendeine andere Floskel. Oder zu Angehörigen: „Wie du das nur aushälst, also IIIICHHH könnte das nieeeee!“. Mit so einem Gerede tut ihr nichts Gutes. Da man nun einmal mit vollem Mund nicht redet, aber in diesem Fall etwas Gutes tut – esst Kuchen. Oder Hotdogs, oder Bratwurst...


Oder Möhren-Walnuss-Eis. Aber das ist ekelig. Ausser für Hunde.

Mit Dank an Schröder, Maxi, Titus, Krani, Ferreira und Farino, als vierbeinige Therapeuten und die ganzen Physio-, Ergo-, Moto-, Musik-, Reit- und Psychotherapeuten sowie Marylin & Carlotta, die Klinikclowns. 
Ohne alle diese Tiere und Menschen wäre Nick nicht so, wie er jetzt ist. Letztlich hat die Kasse nur einen Bruchteil von denen dafür bezahlt, dass sie meinem Kind seit mittlerweile 13 Jahren wieder ein relativ normales Leben ermöglicht haben. Je üblicher das Leben, desto weniger Therapeuten waren notwendig.

Und in Erinnerung an all diejenigen, insbesondere Lena, die für immer gegangen sind.

Also... geht futtern!





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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.