Mittwoch, 1. Juli 2015

Kultur: Barrierefreiheit in Ausstellungen und Museen sowie die Geschichte von Erhard.

Ui... da ist ja ganz schön was los nach dem Artikel über Barrierefreiheit!

"Ja, also ich fand die Bilder nicht angemessen..." - sagt natürlich jemand, der nicht behindert ist. Das ist auch ok für mich, denn viele Erfahrungen sind ihm bislang verwehrt geblieben.

Zum Beispiel die Geschichte, warum Erhard einen Verein gegründet hat. Erhard habe ich beim ADFC, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, kennen und sehr schätzen gelernt. Er ist dort einer von vielen Sehbehinderten, die sich engagiert haben. Er lebt alleine in einem großen Haus, das ihm gehört und ist komplett blind. Ja, auch das gibt es: Blinde Menschen die alleine leben und einen großen Teil ihres Haushalten selbst erledigen! 

Als ich ihn kennengelernt habe, war ich 18 Jahre alt. Er erzählte, wie er mit seinem Langstock durch die Stadt geht, immer den gleichen Weg von der Bushaltestelle bis zur Kantine. Vielleicht habt ihr den Langstock schon mal gesehen - es ist ein wirklich langer Stock, fast wie eine lange Peitsche, der nach vorne unten auf die Erde gerichtet ist und dort abtasten soll, ob ein Hindernis im Weg ist.  Stößt der Stock nirgends gegen, denkt der Sehbehinderte, der Weg ist frei. 

Wenn ihr heute an Baustellen kommt, dann habt ihr vollflächige Absperrungen. Früher war das anders. Da hatte man eine viel einfachere Absperrung, die heute eigentlich nur noch verwendet wird, wenn jemand auch direkt vor Ort ist, z. B. bei Kanalarbeiten. Stellt euch vor, ihr seid blind und darauf angewiesen, was so ein Stock euch "sagt". Der Stock sagt euch also: "Der Weg ist frei!" - und plötzlich wisst ihr gar nicht, was mit euch passiert, denn ihr seid geradewegs in eine Baugrube gefallen - weil der Stock keinen Widerstand ertastet hat. Das es diese vollflächigen Absperrungen mittlerweile gibt, ist auch ein Stück Erhards Verdienst. 

Nachdem Erhard also in vielen  Baugruben gelandet, über Fahrräder gefallen ist, die achtlos irgendwo abgestellt wurden, weil keiner daran denkt, das es blinde Menschen gibt die sich ihren Weg mit einem Stock ertasten müssen war er schon ziemlich verzweifelt und ganz schön depressiv. Was für ein Wert hat ein Leben, das ohnehin schon schwer ist, wenn die Umwelt es einem zur Hölle macht? 

Eines Tages war er dann wieder auf dem Weg zur Kantine, der Stock sagte ihm, der Weg ist frei - und er ist so dermaßen schwer gegen eine offene Transportertür gerannt, das sein ganzes Gesicht kaputt war. Das war der Auslöser, wo für ihn die Frage auftauchte: "Was mache ich? Entweder bringe ich mich um - oder ich kämpfe dafür, das Menschen wie ich mehr berücksichtigt werden!" - für einen Sehenden ist es einfach, sich einzusetzen. Alle Informationen sind viel leichter zugänglich, gerade zu der Zeit, man kommt einfacher überall hin. Für einen Blinden ist es wahnsinnig schwer. Wo ich konnte, habe ich ihm soweit ich konnte, gerne geholfen. Denn ich selbst habe davon ja auch profitiert, indem ich viel gelernt habe. Er hat damals den Fuss e. V. gegründet. Wenn es der gleiche ist, den man im WWW findet, ist aus der kleinen Initiative eines blinden Menschen eine bewundernswert große Organisation geworden. Respekt!

Legendär wird auch immer eine Tandemfahrt mit ihm bleiben, wir haben einen Hochzeitskorso auf Rädern gebildet und Sehbehinderte fahren oft Tandem mit einem "Piloten". Sein sonst immer mitfahrender Pilot ist ausgefallen und ich - damals Schmachthappen - bin eingesprungen. Erhard ist nicht nur blind, er ist auch schwerhörig. Aber unglaublich fit... "Erhard, da kommt eine rote Ampel!" "Waaas????" "Eine rote AAAMPEL!" "Ich verstehe dich nicht!!" "VERDAMMT, eine ROTE AM...." und wusch, waren wir drüber. Bremsen war ziemlich scheißegal, wenn hinter dir 100 Kilo mit Wucht in die Pedale treten, ist eine damalige Klotzbremse völlig scheißegal gewesen. Auf einer kompletten Großstadthauptstraße haben wir die komplette rote Welle erwischt... heute würde ich einen Infarkt dabei bekommen. Danach musste ich noch zur Berufsschule, Fachkunde Medizin - ich konnte nur zuhören, nichts anderes, weil das Zittern erst nach vier Stunden aufgehört hat :-D

Irgendwann erzählte er mir, er hätte ein Schreiben bekommen. Er sollte doch bitte nach Hannover kommen, man wolle ihm eine Verdienstmedaille verabreichen. "Keine Ahnung, wer mir das eingebrockt hat..." meinte er und ich so: "Ach, ok, immerhin was, ich habe dich fürs Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen...!" Antwort: "Ela, BIST DU VERRÜCKT?!" - aber gefreut hat er sich doch - und verdient hat er die andere Medaille auf jeden Fall. 

Sich dafür einzusetzen, das Menschen mit Einschränkungen weniger Probleme im Alltag haben... das sich das lohnt, sehe ich an den Riffelplatten die verlegt werden - denn die waren schon damals in einer Konzeption "barrierefreies Oldenburg" ein Thema - und ich sehe es an den Baustellen mit den Absperrungen die bis zum Boden gehen. Und manchmal denke ich: "Whow, und dafür hast du dich schon vor fast 30 Jahren mit eingesetzt!" und bin ein kleines bisschen stolz. 

Und ich bin sicher, ohne Menschen wie Erhard oder einen Opa, der nur einen Arm hatte und auch fast alles alleine gemacht hat, als Vorbilder hätte ich die ganze Sache damals mit Nicks Behinderung längst nicht so gut hinbekommen! 

So, nun aber zum anderen, was ich oben angekündigt habe. Ich habe vorhin einen ganz lesenswerten LINK gefunden zum Thema "Barrierefreiheit in Ausstellungen und Museen". Darin steht unter anderem, das es eben NICHT ausreicht, wenn man nur mit einem Rollstuhl überall durchkommt. Es ist ein gut lesbarer Fachartikel mit den verschiedenen gesetzlichen Grundlagen, Konventionen, Forderungen und so weiter. Sehr, sehr lesenswert und sicherlich auch eine gute Grundlage um zu überlegen, wie es denn eben hier im Museum tatsächlich gehandhabt wird. 

 

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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.