Donnerstag, 20. Februar 2014

Kultur ist... manchmal auch philosophisches Bullshit-Bingo


Ein Artikel ganz unhundig, aber ich wollte zwischendurch gerne den Bereich Kunst & Kultur in Neuruppin weiterführen, den ich ja mit dem Adventskalender schon angefangen habe. Also:

"Kultur ist... Denken und Glauben nach Auschwitz"

Ich war gespannt auf die Veranstaltung in der Klosterkirche, denn ich mag Philosophie. Philosophie... jetzt überlegen vielleicht ein oder zwei Leser hier: "was war das noch mal?" Philosophie klingt so ein bisschen nach beliebten Kindernamen oder nach Briefmarkensammeln. Weit gefehlt, Philosophie ist die „Liebe zur Weisheit“. Seit Urzeiten denken Menschen darüber nach, was wieso weshalb und warum passiert, manchmal denken sie auch über das wo nach.

Kommen euch die W-Wörter bekannt vor? Ja? Genau, das sind die fünf Wörter, die ihr wissen müsst, wenn ihr irgendwie mal den Rettungsdienst anruft. Nur das Wort „warum“ müsst ihr durch „wieviel“ ersetzen. Eigentlich hätte es eine echt interessante Diskussion werden können, wenn diese nicht irgendwie im Vorfeld schon durch den Professor für Philosophie, Herrn Böhler, und Frau Herrmann durch einen riesigen Wörterwal platt gemacht worden wäre. Es war eher "Jonas und der Wörterwal". Wörter so mächtig aufgetürmt wie ein Blauwal mit genau dem gleichen Effekt, wenn es ums platt machen von etwas geht.

Ich denke mal, das war auch der Grund, warum nach Teil eins und zwei doch einige Leute aufgestanden und verschwunden sind. Schade, denn es waren ungefähr 60 Leute in der Klosterkirche, die an dem Thema interessiert waren – und sich durchaus damit auseinander setzen wollten. Der kleine Raum oben war also rappelvoll und es wäre eine tolle Chance gewesen, Neuruppin wirklich ein Stück bunter zu machen, einen Dialog zwischen mehr als nur 6 Leuten zu fördern, von denen sich vier ohnehin gut kannten und einer wirklich wichtigen Frage auf den Grund zu gehen.

Aber dann hat man einen studierten Philosophieprofessorvor sich, der betont, er wäre Wissenschaftler. Schwupps, kippen er und seine Begleiterin er nach einigen Buchempfehlungen kübelweise Wörter von und über den Philosophen Hans Jonas, dessen Ansichten und Denkweise und die verschiedenen Sichtweisen über die Leute aus. Eigentlich hätte im ganzen Raum ein großes Fragezeichen über den Köpfen schweben müssen. Aber alle waren so höflich so zu tun, als ob sie verstanden hätten, was die uns da erzählen. Ihr könnt mir glauben, es war so. Wenn jeder wirklich verstanden hätte, was dort von den Philosophen erzählt wird, wäre Neuruppin schon deshalb sehr reich, weil sie eine Stadt mit vielen Menschen wären, die in Sekundenbruchteilen lange Sätze mit 8 – 10 Fremdwörtern komplett verstehen würden. Selbst wenn man den Text vor sich liegen hätte um ihn zu lesen, wäre man nicht in der Lage, den Sinn und die tiefere Bedeutung so schnell zu erfassen. Deshalb ist tatsächlich ein regelrechter Wörterzunami über uns hereingebrochen oder sehr krass ausgedrückt: Das Bullshit-Bingo der Philosophie.

Wobei der Anfang noch recht interessant war, Prof. Böhler stellte unter anderem das Buch „Hitlers 10 Gebote“ vor, erklärte, was es mit „Sklavenmoral“ und „Herrenmoral“ nach Nietzsche auf sich hat.
„Wenn Philosophie die >Liebe zur Weisheit< ist“, habe ich während des Zunamis irgendwann überlegt, „wie kann so etwas dann überhaupt Philosophie sein? Sollte Weisheit nicht etwas sein, was für VIELE Menschen verständlich ist – und nicht nur für wenige, eingeweihte?“ Es ging letztlich um die Frage, ob es Gott gibt, und ob er tatsächlich allmächtig ist – und wenn er es wäre, warum er so etwas wie Auschwitz zugelassen hat. Philosophie und Religion sind schon immer eng verzahnt gewesen – denn letztlich ist Religion und Glauben im Kern nichts anderes.

Es wäre in Ordnung gewesen, den Philosophen Jonas, der jüdische Wurzeln hat und dessen Mutter in Auschwitz umgebracht wurde, als Grundlage zu nehmen. Deshalb sind die Leute ja auch gekommen. Aber statt „was und wie dürfen WIR jetzt eigentlich denken und glauben???“ ging es eigentlich um einen oft auf die Schnelle (des Vorlesens) unverständlichen und komplett überladenen Vortrag von Hans Jonas: „Der Gottesbegriff nach Auschwitz, eine jüdische Stimme“. Der Vortrag (in Buchform umfasst er 38 Seiten!) wurde vorgelesen und es war für mich etwa so: „blabla Hiobsnachricht blablablabla Makkabäerzeit blablabla heilig, heilig, Gott, blabla, Schrecklich, furchtbar, Kiddusch-haschem, Opfer, Propheten, Unsterblichkeit, blabla GOTT IST VERSTÄNDLICH blablabla, platonisch-aristoteles, Transzendens, Gott, heilig, Metaphysik, Immanenz, blabla...“. Mitten aus dem zu weiten Teilen unverständlichen Redewust kamen genau diese Wörter – und das war so herrlich paradox.

Als Platon zitiert wurde, habe ich gedacht: „Den wirst du nie im Leben lesen, wenn der das so gesagt haben sollte. Man, muss der zu seiner Zeit guten Stoff zu rauchen gehabt haben!“. Es ist so, wer sich mit verschiedenen Junkies unterhält, wird feststellen, das sie oft sehr philosophisch veranlagt sind ob der bewusstseinserweiternden Drogen. Da braucht es gar nicht unbedingt ein jahrelanges tiefgreifendes und strunztrockenes Studium für, das einen den Job eines Taxifahrers oder Bo-Frost-Dealers beschert.

Ich mag Philosophie. Es ist toll zu philosophieren auch wenn man nicht Nietzsche, Kant, Epikur, Aurel und so weiter auswendig rezitieren kann. Ich mag den griechischen Stoiker Seneca, weil er sehr verständlich ist – und mein Herz hängt an vielen Dingen, über die Bonhoeffer nachgedacht hat, bevor er im KZ umgebracht worden ist. Aber das, was dort an dem Abend abging, war eine Form der Philosophie, die wie ein dickes Kissen auf die Seele und die Gedanken gedrückt wird und alles einfach nur durch die Art und Weise, das Überfrachtete und Überhebliche erstickt und kaum zulässt, das „Normalsterbliche“ sich auf den Weg machen dürfen, die unglaubliche Weite und den Zauber der Philosophie zu entdecken. Das bedaure ich zutiefst.

Sehr wohltuend war dagegen General Superintendent im Ruhestand Esselbach. Derjenige, der verständliche Worte fand um einen Teil seines eigenes Weges zu beschreiben. Wie geht man als „Gottes Bodenpersonal“ damit um, das es so etwas wie Auschwitz (und viele andere KZ´s) gegeben hat? Wie soll man Menschen, die oft an Gott glauben möchten und die immer wieder von der „Gnade Gottes“ und von der „Barmherzigkeit“ gehört und gelesen haben, erklären, das ein „barmherziger und gnädiger Gott“ so etwas zugelassen hat?

Ich denke, darüber hätten sich viele gerne unterhalten. Mit verständlichen Worten um genau das, was so unbegreifbar erscheint, für sich zumindest ein Stück weit begreifbar zu machen. Die Worte Esselbachs empfand ich als sehr berührend. Denn er ist authentisch. Man nimmt ihm ab, dass er das, was er sagt, wirklich meint – und auch lebt. „Wenn ich allein auf die Vernunft der Menschen hoffen würde, dann hätte ich keinerlei Hoffnung für diese Welt!“ - dennoch hofft er. Nicht auf die Vernunft, aber auf so etwas wie wachsende Einsicht. Diese Hoffnung ist es, die ihn trägt.

Ein toller Mensch.

Aber... wie sehe ICH es? Denn ich wäre ja nicht zu der Veranstaltung gegangen, wenn mich die Frage nicht interessiert hätte. Auf allerlei Papieren von mir steht: ev-lt. Evangelisch-lutherisch. Ich bin mit Kirche aufgewachsen und es gibt einige Menschen, die meinen Glauben und meine Art zu glauben, sehr geprägt haben und denen ich dafür sehr dankbar bin. Denn: Ja, ich glaube – aber mein Glauben fängt mit dem Neuen Testament an und ich glaube vor allem, das es Jesus gegeben hat. Als coolen Typen. Nicht weichgespült, gezuckert und auf Wattewolken gepackt. Ich glaube sogar, dass die „verbotenen“ Evangelien mit die interessantesten sind. Weil sie NICHT aus Geschichten bestehen, die im Laufe von über 2000 Jahren immer wieder neu übersetzt, neu ausgelegt wurden. Wenn man überlegt, wem es fast 2000 Jahre lang immer wieder sehr genutzt hat, das es ein Gottesbild voller Allmacht und Härte auf der einen Seite, Gnade und Barmherzigkeit auf der anderen Seite gegeben hat, wer diese „Zuckerbrot und Peitsche“-Version von Gott verbreitet hat, dann könnte man ja darauf kommen, das vieles was so in der Bibel steht, vielleicht gar nicht so gewesen ist.

Politik wird immer gerne dort gemacht, wo die Allgemeinheit sie nicht auf den ersten Blick vermutet – und ganz ketzerisch: Stellt euch vor, das weite Teile der Bibel so etwas wie die Bildzeitung des Mittelalters waren und die Stammtischparolen nur meist etwas netter umschrieben. Es hilft oft, an einen Gott, an eine höhere Macht, zu glauben. Gott im Himmel... also quasie im All. Genau DORT ist er auch „allmächtig“. Aber ansonsten? Trial and Error. Versuch und Irrtum. Väter sind so. Ist man klein, denkt man oft: „Whow, was mein VATER alles hinbekommt!“. Meiner war so einer, der irgendwie alles konnte. Ein einfacher Arbeiter – aber er hat mein Elternhaus saniert, Autos repariert, uns Kindern eine Seilbahn gebaut, einen Trecker geschweisst... als ich Kind war, gab es für mich nichts, was mein Vater nicht konnte. Er war für mich fast wie ein Gott. Und dann wird man älter und merkt: „Irgendwie... er kann doch nicht alles!“. Väter dürfen Fehler machen – und deshalb darf Gott es auch – denn Christen sagen Vater zu ihm. Erst als ich für mich erkannt habe, das Gott kein übermächtiger, allmächtiger, furchteinflößender Herrscher ist, der mit Zuckerbrot und Peitsche um sich prügelt, sondern eigentlich – und das eben vor allem in Jesus – ein Mensch war wie du und ich - konnte ich einen wirklich tiefen Glauben und eine tiefe Freundschaft zu ihm entwickeln.

Denn genau DAS ist es, was ich möchte: Eine Freundschaft zu ihm – und nicht unter einer imaginären Knute von ihm stehen. Denn: „Wenn du dieses und jenes nicht tust, dann wird der liebe Gott ganz böse!“ - ist immer ein Machtmittel gewesen. Zum Einschüchtern und zum Unterdrücken. Betrachte ich Gott bzw. Jesus als Freund, als jemanden mit Ecken und Kanten, der zutiefst menschlich ist, DANN kann ich an ihn auch glauben OBWOHL es Auschwitz und viele andere KZ´s gegeben hat und obwohl es überall auf der Welt nach wie vor Hunger, Leid, Mord und Totschlag gibt. Dafür... sind wir Menschen verantwortlich. Aber nicht er, auch wenn es oft einfach ist, ihn als Sündenbock hervor zu holen.






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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.