Dienstag, 23. Juni 2015

Kunst: Ab in die Mitte




Freitag, 18 Uhr und viele Minuten – die Endstation des R6 von Neuruppin nach Berlin ist der Bahnhof Gesundbrunnen. Umsteigestation für mich auf dem Weg zur Galerieeröffnung.  Keine Ahnung, warum das hässliche, unwirtliche Ding "Gesundbrunnen" genannt wurde. Hier fahren Züge durch, hier halten Züge – und es gibt hier auch sonst jede Menge Zug. Von hier aus gibt es eine direkte Verbindung mit einer S-Bahn zum Brandenburger Tor. Wenn man ein bisschen sucht und sich auf die Architekten einstellt, die Bahnhöfe und Hinweisschilder entwickeln mit dem Ziel, Menschen zur Verzweiflung zu bringen, findet man irgendwann auch das passende Gleis in der Kellerabteilung dieser Großstadt. 


Mauerstück in der Wilhelmstraße


Bis zum Brandenburger Tor dauert es etwa eine viertel Stunde, von der Menschen wie ich dann die Hälfte der Zeit darüber nachdenken, ob sie tatsächlich die richtige U-Bahn erwischt haben. Egal, man hat Zeit, die Leute zu beobachten. In einer Ecke sitzen vier Leute, jeweils zwei sich gegenüber. Die beiden auf den äusseren Sitzen unterhalten sich relativ zivilisiert, während der Glatzkopf an der Fensterseite irgendwann anfängt herumzubrüllen: „Eeeeyyyy, Paaarty.... FICKEN??? FICKEN????“ und dann seiner Gegenüber ziemlich derbe die Haare durchwuselt um danach wieder auf seinen Sitz zu fallen und für den Rest der Fahrt zu verstummen. Besser ist das. Für ab und zu mal finde ich so ein Kuriositätenkabinett ja ganz interessant und lehrreich, aber für jeden Tag reicht Neuruppin völlig aus. Im Vergleich zu Berlin ist das hier quasi die homöopathische Verdünnung davon. Was mich im übrigen an das Pärchen letztens erinnert hat, sie ein bisschen adipös angehau... futtert und mit einer schwarzen Sweatjacke. Das ist ja an und für sich ganz ok, hätte Madam nicht die Fan-Jacke von FreiWild getragen, die den schönen Aufdruck „Land der Vollidioten“ trägt. Das sind dann so Momente, wo ich mir einen weißen Edding wünsche. Um drunter zu schreiben: „Hurraaaa – und ich gehöre dazu!“.

Nun denn, wer am Brandenburger Tor aussteigt, landet gleich im Überwachungs-Bewachungs-Aufpasser-Viertel. Ämter, Botschaften, das Adlon... alles was wichtig und geschichtsträchtig ist ist von hier aus gut zu erreichen – und ich gebe zu, mit dem Viertel da habe ich mich noch nie so richtig beschäftigt. Die Wilhelmstraße ist da gleich um die Ecke. Man erkennt es total gut an den dicken Pollern, die aus dem Wirrwarr an Straßen mit einer Bahn, zwei Bahnen, zum ganz durchfahren, nicht ganz durchfahren, gar nicht durchfahren ein bisschen mehr Wirrwarr machen. Aber immerhin – kleine Kinder könnten da ungestört Radfahren lernen und auf der Straße spielen und wenn so ein Straßenmalkünstler da einen Teppich hinmalen würde, dann hätte das sogar was. Weil die britische Botschaft dort ein bisschen aussieht wie ein überdimensionierter Schrank aus Wurzelholz. Mit einem offenen Fach. Und wisst ihr, was in dem offenen Fach ist? Ein lila Teil, das aussieht wie so ein kleiner Hut der Queen! Also eines muss man den Briten lassen: sie haben einen wunderbaren Humor. Auch in der Architektur. 

Im Gegensatz zu deutschen Bahnhofsarchitekten.

Geschichtsträchtiges Pflaster

Nachmittags hatten wir noch auf Google Streetview geschaut, wie es dort eigentlich aussieht. Oder besser: wie es dort mal ausgesehen hat, denn die Bilder sind von 2008 und da waren die Läden, in denen jetzt die Ausstellung ist, nun einmal noch Läden. Ebenfalls habe
ich bei der Gelegenheit geschaut, wo ich einen Laden für Künstlerbedarf in der Gegend finde. Am Ende der Straße in der „Shopping Mall“. Da wollte ich gerne noch hin und dachte mir so: „Nun, die Galerie ist auf der anderen Seite, auf dieser Seite parken Autos und ist ein bisschen Grünzeugs, da sieht keiner das du schon da...“ klingeling, mein Handy: „Stoooop, du bist zu weit, andere Straßenseite und ein paar Meter zurück!“. Mist. Entdeckt. Mir wurde dann aber dennoch ein kurzer Ausflug in diese „Shopping Mall“ gegönnt, in der ein junger Kerl mit Anzug und Krawatte hinter einem Rezepzionstresen im Durchzug steht und mit Engelsgeduld den Leuten erklären darf, wo sie was finden. Gleich neben dem Eingang ist so eine Art Krimskramsladen, alles handgewerkelte Teile von Künstlern. 


Gedenktafel für Johann Elser "Ich wollte den Krieg verhindern"

Dahinter prangt sehr überdimensional der Umriss von „Karl“ auf den Scheiben. Also nicht Karl der Große, auch nicht Karl die Große sondern Karl, der rumläuft wie eine Mischung aus Michael Jackson und Mozart und dazu eine Heino-Sonnenbrille trägt. Einer der Ursachen des „Schantallismus“ in Deutschland, weil er für „Schanelle“ gearbeitet hat/arbeitet. Und wie das eben so ist, wer sich die Klamotten und Duftwässerchen schon nicht leisten kann, will wenigstens so ein kleines Zweibein mit edel anmutendem Namen besitzen. Wer weiß, das einer der Grundbausteine für Luxusparfüms das Analdrüsensekret von Moschusochsen ist kann ja überlegen, wie aus „Chanel - Eau de toilet“ dann „Oh, de Schanelle muss aufs Klo!“ wird. Die Rache für die ganzen Anglizismen wird an den Franzosen ausgeübt... danke, Karl. Davon haben die schon immer geträumt! 


Dreierlei an Hirsch... Anke Gesell

Ein bisschen später war ich dann in der Galerie auf Zeit, original DDR-Edelplatte in exklusiver Wohnlage. Vor ein paar Jahren gab es hier unter anderem noch ein Steakhaus. Nun kommt man rein und guckt auf Hirsche an Backsteinwand. Das sieht übrigens ziemlich gut aus, sogar etwas Erde gibt es unten, fehlen eigentlich nur noch ein paar Holzscheite. Die Hirsche sind von der Neuruppiner Künstlerin Anke Gesell. Weil Künstler heute oft „nicht nur“ Künstler sind, machen viele von ihnen nach dem Kunststudium Weiterbildungen. Anke Gesell hat eine Weiterbildung gemacht, um zum Beispiel in der Schule für geistige Entwicklung mit den Schülern zu arbeiten. 

Märchenhafte Leichtigkeit von Mayumi Okabayashi


Gleich daneben hängt eine große Installation von Mayumi Okabayashi: riesige Papierteile die an seidenen Fäden von der Decke hängen. Sehr fragil alles und in Echt viel schöner als auf allen Fotos, die es davon gibt. Wobei es durchaus einige Zeit brauchen kann, bis man mit so einer Art von Kunst für sich selbst klar kommt. Bei mir war es so, das ich es von der Seite betrachtet habe, die Abendsonne schien durch die Fenster und spielte mit den Farben auf den großen Blättern... und in dem Moment hat es „klick“ gemacht. Ich habe an einen Film gedacht: „Hugo“, den Nick und ich mittlerweile schon mehrfach gesehen haben. In diesem Film geht es um die Anfänge der Filmkunst und damit vor allem um einen der ersten Filmemacher überhaupt: Georges Méliès 
Der Galerist und sein Besuch aus der alten Heimat, die Kulturamtsleiterin aus Köln.

Nachdem ich also für MICH die Entdeckung gemacht habe, dass das Werk von Mayumi Okabayashi eigentlich irgendwie an eine der Bühnendekorationen von Melies erinnert, habe ich irgendwie darauf gewartet, das große Goldfische oder ein Neptun zwischen den Blättern wie aus dem Nichts auftauchen. Vielleicht erinnert es jemand anderen ja an die Geschichte vom kleinen Wassermann, an ein altes Papiertheater, Schattentheater oder was auch immer. Denn ist es nicht genau das, was aus „Ist das Kunst oder kann das weg?“ etwas macht, für das man eine Wertschätzung entwickelt? Ganz für sich selbst einen Bogen zu finden, der ein Kunstwerk mit so vielen Emotionen zu etwas das man kennt oder erlebt hat zu verbinden, das man eben nicht mehr denkt: „Ist das Kunst oder kann das weg“? 

Friedrich Puhl, im Hintergrund Bilder von Thomas Berthold

Dann stellt der Überraschungskünstler aus – es gab eine kleine Auswahl an möglichen Künstlern und letztlich war Thomas Berthold derjenige, der sich für flexibel genug erklärt hat, einige Werke dort auszustellen. Das ist sehr schön, denn dieses Jahr hat er noch einen ganzen Stapel anderer Ausstellungen, die er bestücken möchte. Viel schreiben kann ich zu ihm nicht, wer wissen möchte, was und wie er malt, sei auf seine Homepage verwiesen. 


"Umbau" von Holger Bunk

So richtig toll war es für die riesigen Werke von Uschi Jung und Holger Bunk, die dort zum Teil frei hängend, ihre Wirkung gut entfalten. Es ist schon etwas anderes, ob ein Bild an einer Wand hängt oder frei im Raum, ob man eine Wand mit Bildern entlang läuft – oder auch zwischen ihnen laufen kann. Von Holger Bunk hängen zum Beispiel zwei riesige Tücher von der Decke. Das vordere wurde schwarz eingefärbt – ist aber halbtransparent geblieben – und auch die Zeichnung auf dem Tuch passt an den Ort wie die Faust aufs Auge, hält jemand doch ein Schild „Umbau“ in der Hand. Ja, die Räume wurden ein bisschen umgebaut – um irgendwann abgerissen zu werden – und eigentlich steht es auch generell für die Wilhelmstraße. „Umbau“. Mauer weg, ein riesiger Shopping-Center mit überdimensionierten „Stolpersteinen“ die in den Fußböden dort eingelassen sind und in der Form keine Erinnerung an bestimmte Personen, sondern an die jüngere Geschichte der Stadt/des Ortes tragen. Viele Erinnerungstafeln mit langen, fast schon erschlagenen Texten über Widerstandskämpfer, Führerbunker und so weiter. Eine Straße im ständigen Umbau die gegen das Vergessen mahnt – und ich bin sicher, nicht nur ich habe ein Problem damit, wenn eines der schwärzesten Kapitel der deutschen Geschichte mit zunehmendem Luxus überbaut wird. Aber... das ist nun einmal der Lauf der Geschichte: Altes geht, Neues kommt. Alle paar Jahrzente gibt es vom Kern der Sache her Wiederholungen, die aber nicht so auffallen, weil sich die Mittel der Zeit angepasst haben. Zurück zur Kunst: 

Kunst auf Zeit am Fenster, Jens Kanitz und Uschi Jung davor

Uschi Jung hat dann auch noch kurzfristig ein „Kunstwerk auf Zeit“ an einer Fensterscheibe geschaffen – das war so eigentlich nicht angedacht, aber die Scheibe hatte einen Sprung und so wurde aus der Not eine Art Farbexplosion gemacht, die später mit dem Haus untergehen wird. Nicht nur ein Kunstraum auf Zeit, sondern auch Kunst auf Zeit. Wie toll sie auf problematische Räume eingehen kann und wie einfallsreich zeigt ihr Bodenkunstwerk „Himmel über Berlin“. Denn auf den Bildern der leeren Räume, die ich gesehen habe, ist genau dort eine ziemliche Macke im Fußboden. Nicht jeder schafft es, aus einer unschönen Macke dann „den Himmel auf Erden“ zu machen. Sie schon. Wer dann als Neuruppiner der öfters in der Bilderbogenpassage weilt, vor dem Haus steht, wird ein bekannteres Werk von ihr direkt an zwei Scheiben entdecken, die so vom großen Raum mit Bildern zum kleineren Raum mit den Skulpturen überleiten. Es ist ursprünglich ein Foto (ich glaube es war ein roter Zug in grüner Landschaft), das sie so dermaßen vergrößert hat, dass es sogar die Ministeck-“Plastik-Pixel“ um Längen schlägt. (Ich habe euch da mal ein nettes Teilchen verlinkt...  ;-D)


Der Himmel über Berlin. Kein Quilt aber tolle Vorlage dazu

Sooo, damit wäre Teil eins erst einmal fertig – über die zauberhaften Entdeckungen im kleineren Skulpturenraum berichte ich im zweiten Teil. 


Nachträge:

Ein dickes Lob geht noch an Friedrich Puhl, ihr seht ihn oben auf einem der Bilder. Friedrich hat zur Eröffnung ein paar klassische Gitarrenstücke gespielt - und es war unglaublich gut! Hut ab! Ein riesiges Talent und wenn ich mich an meine WG-Zeit mit dem Musikstudenten erinnere, der Flamenco-Gitarre gespielt hat, dann bewundere ich Friedrichs Durchhaltevermögen beim Üben. Whow.




Hier übrigens noch die "Neuruppiner" von Rang und Namen, die an dem Abend vor Ort waren: Vorne ist Dagmar Ziegler, "unsere" Bundestagsabgeordnete, dahinter etwas versteckt Jens Kanitz. Dann auch sehr begeistert der Vize-Landrat Werner Nüse, der als Kunstliebhaber vor Ort war, davor Uschi Jung, hinter ihr Vincent Dallmann der neue Ortsvorsitzende der SPD, dann kommt Anke Gesell und die ist immer irgendwie gut drauf und hinter ihr unser Galerist Johannes Bunk. 








































































































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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.