Mittwoch, 24. Mai 2023

Über meinen Papa, meinen Opa, Schweizer Taschenmesser und Schnitzen.

Eine der prägenden Kindheitserinnerungen von mir ist das Schweizer Taschenmesser meines Vaters, dass er immer in der Hosentasche hatte. Meine Mutter hatte es ihm irgendwann mal so in den 70er oder frühen 80ern geschenkt und es war eine etwas dickere Ausgabe mit Pinzette, Schere, zwei Klingen und noch ein paar Sachen. Damals waren Schweizer Taschenmesser - insbesondere in der Norddeutschen Tiefebene - noch nicht ganz so bekannt wie sie es heute sind.





Fortan begleitete das Messer ihn immer. Ich glaube, nur zum Schlafen hat er es nicht dabei gehabt, was aber wohl eher an den fehlenden Taschen der Schlafanzughosen lag. Ich bin in der Wesermarsch auf einem Moordorf (aber nicht in Moordorf) aufgewachsen und insbesondere unser Vater war mit uns richtig viel unterwegs in der Heide. Dort haben wir Buden gebaut und herumgeabenteuert. Wir hatten aber auch ein großes Grundstück und eine kleine Haus- und Hofwerkstatt, da mein Vater so ziemlich alles selbst gemacht hat. Das hat er sich meistens selbst beigebracht. Von Beruf her war er Schweißer bei Brötje. 

Wir Kinder haben also recht früh gelernt, dass es "geht nicht" eigentlich nicht gibt und dass ein gutes Messer und gelernt haben, damit gut umzugehen, mitunter die beste Antwort auf "geht nicht" ist. Irgendwann tauchte bei Aufräumarbeiten auf dem Hof ein ganz altes Kinderspielzeug auf. Wobei die Aufräumsache noch vor dem Schweizer Taschenmesser gewesen sein musste, weil ich da wirklich nur ein Bild von im Kopf habe - zwei geschnitzte Holzmännchen, die auf Stöckchen befestigt waren und sich bewegen konnten. Es hieß, mein Opa habe das geschnitzt. Irgendwann vor etwa 6 Jahren oder so ist dieses Bild wieder in meinem Kopf aufgetaucht und ich wusste: "DAS will ich machen!".

Seit dem schnitze ich. Allerdings nicht mit einem Taschenmesser, das mache ich nur im Wald, wenn ich den Kindern etwas zeige. Als ich mit Schnitzen und Filzen angefangen habe, ist kurz darauf bei mir ein Pflasterspender eingezogen, der einhändig zu bedienen ist (Salvequick). Das Ding habe ich damals an den Schrank bei meinem Arbeitsplatz geschraubt, das hat echt viele Wege erspart! Nick hat sich auch oft darüber amüsiert, wie verpflastert meine Finger waren. Aber ich habe durchgehalten. 

Sich verletzen gehört zum lernen dazu. Das tut weh, blutet und ist ärgerlich, manchmal fließen auch Tränen. Aber die trocknen wieder und dann geht es weiter - und das Handwerkszeug hat einem halt sehr deutlich erklärt: "VORSICHT!!!!" und "so nicht!".   Solange, bis nicht irgendwann mal irgendwie ein bisschen rote Suppe aus der Hand oder so tropft, fühlt man sich irgendwann wie King Lui beim schnitzen: "HA, ICH KANN DAS!" - und wird unvorsichtig. Die Bewegungen sind / werden grobmotorischer und schneller, es wird mehr herumgefuchtelt.

Ich glaube, ich hatte richtig viel Glück damit aufzuwachsen, dass Opa, Onkel und Vater immer irgendwie etwas gemacht haben und ein gutes Beispiel für Bedachtsamkeit beim Werken waren. Da war nichts "schnell, schnell". Ich glaube, diese Bedachtsamkeit fehlt heutzutage an vielen Ecken und Kanten. Alles muss immer "schnell, schnell" gehen, egal ob schnell essen, schnell kochen, schnell fahren, schnell lernen und wenn es nicht mit "schnell" gesagt wird, dann mit "eben kurz" - und "eben kurz" ist letztlich ein Synonym für schnell. Als ob Schnelligkeit die Freiheit wäre, von der fast jeder träumt. Ist sie nicht. Schnelligkeit kann ein Kick sein. Aber die Zeit zu haben, etwas langsam und damit viel überlegter und bewusster zu tun, also für mich ist genau DAS ein Stück Freiheit. 

Eine andere Sache ist das Holz Suchen die Kinder im Wald nach Stöckern, finden sie überwiegend entweder morsches Holz oder Hartholz. Hartholz ist... HART. Man schnitzt und schnitzt, die Hand fängt schon an, weh zu tun - und irgendwie kommt man nicht vorwärts, wird gefrustet und unvorsichtig. Das nervt auch enorm.

Weiches Holz, das wirklich toll zum Schnitzen ist, kommt zum Beispiel von Weide (Weidenbäume stehen unter Naturschutz, aber manchmal gibt es Baumpflegemaßnahmen, dann fällt etwas an), Linde und Pappel. Wenn ich unterwegs bin und es sich ergibt, dann sammle ich Stöcker oder Äste, die sich zum schnitzen eignen, man kann einfach nie genug davon haben - und im Endeffekt: was irgendwann doch nicht gebraucht wird, finden die Haustiere super und/oder brennt gut. Nadelhölzer sind eine Sache für sich, die sind zwar nicht bretthart, haben aber lange Fasern. Das kann auch unglaublich nerven und ich schnitze damit eher nicht, weil ich mir durchs Harz sonst auch die Klingen versaue. 

Nach "Rinde abschälen" und "Spitzen schnitzen" was viele Kinder schnell lernen, ist ein kleiner Pilz dann schon etwas mehr Herausforderung. Denn bei einem Pilz muss man die Kappe abrunden. Dazu müssen viele kleine Späne weggenommen werden, damit es rund wird und nicht dünn. Das ist gar nicht so einfach und erfordert Geduld, Durchhaltevermögen und Feinmotorik. 

Ist die Kappe rund geschnitzt, wird der Stängel vom Pilz und die Unterseite der Kappe geschnitzt. Also eine "Delle". Auch das sieht bei einem fertigen Pilz immer richtig "einfach und schnell" aus. Aber auch das erfordert Geduld, Feinmotorik, Schnitztechnik, damit man nicht versehentlich die Kappe mit abschnitzt - und Ausdauer. Die Pilze kann man zum Beispiel als Spielfiguren benutzen. Wir haben im Wald ein paar tolle Baumstümpfe, auf denen ich mit Kindern Spiele aufmalen möchte - und da bieten sich selbst hergestellte Spielfiguren natürlich an. 

Was ich persönlich wirklich gut finde ist, wenn Eltern die ihren Kindern Schnitzmesser kaufen, selbst in Grundzügen schnitzen können - oder es lernen. Das muss nicht super sein, aber sie sollten es in Grundzügen ausprobiert haben, weil letztlich genau das dazu beiträgt, dass ihre Kinder auch zu Hause sicher mit dem Schnitzmesser umgehen können! Ich werde zusehen, das ich im Laufe der Zeit von allen gängigen Kinderschnitzmessern ein Exemplar vorrätig habe, damit die Kinder ausprobieren können, was ihnen persönlich am Besten liegt. 


(Ursprünglich war dieser Artikel im Waldblog, den ich während meines Praktikums im Erlebnisraum Wald ausprobiert habe. Da das Praktikum vorbei ist und ich halt seit nun 10 Jahren "Ruppi-Struppi" bin, kommen die Waldblogartikel hier in den Blog) 



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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.