Sonntag, 10. April 2022

Vom nicht gut gehen, Wegrennen und schnitzen

 

Es geht mir nicht mehr wirklich gut und die Zeit mit dem neuen Hirntumor von Junior, dem Umzugsstress, Corona und letztlich meiner eigenen Geschichte kassiert gerade so ziemlich alles, was an Zuversicht, Energie und Co mal da war. Ich kratze jeden Tag alles an solchen Resten zusammen, was ich irgendwo in mir finden kann und schaue, ob ich die ein bisschen vermehren kann. Ich habe lange darüber nachgedacht, was mir gut tun würde. Mich mit den Filzviechern, mit Filzen, Zeichnen und so weiter zu befassen. Das tut einfach meiner Seele gut.


Herr Rehbock ist mittlerweile deutlich gerissener geworden...

Klar, es gibt das Land-Laden-Lecker-Projekt. Aber weil Nick auch nicht mehr viel kann, und es sich auch nicht so entwickelt, wie ich es gehofft habe, liegt das auf Eis. Ich sollte mich eher auf das besinnen, was MIR gut tut. Was mir WIRKLICH gut tut. Denn es ist zwar toll und spannend „immer eine neue Sau durchs Leben zu treiben“ - aber vielleicht ist es irgendwo auch ein „Wegrennen“ gewesen. Auch wenn es echt Spaß gemacht hat. Aber immer, wenn ich denke „da wäre eine Chance etwas aufzubauen, das Anderen vielleicht hilft und ich dann damit anfange, wird das eigentlich wie so ein Crash-Test vor eine Betonwand. Es gibt Menschen, die haben einfach das bessere Netzwerk, werden mehr gefeiert und können sich weit besser verkaufen als ich. Also sollte ich es lassen. Vielleicht schreibe ich es mir noch mal sehr groß in Schönschrift auf, rahme es ein uns hänge es in ständiger Sichtweite auf. Zumindest habe ich bei allen diesen Dingen immer auch etwas gelernt und über den Tellerrand gucken können. Deshalb ist es im Prinzip auch nicht schlimm, wenn man an einer Sache scheitert. Denn auch vor und beim Scheitern kann man, wenn man will, viel lernen. Mehr als „ich bin zu blöd dazu, ich Opfer!“.


Erst wollte es ein Löffel werden, dann ein Haken, dann ein Zauberstab

Nach einem phänomenalen Löffelschnitz-Workshop, bei dem wir vier Stunden im Wald gesessen haben und es ein großes Stück „wie früher“ war, habe ich unser Schnitzwerkzeug erweitert. Nick sitzt oft mit am Küchentisch und wurschtelt mit dem Kram vor sich hin, während bei mir die Späne fliegen und ein Stück Ast sich nach und nach überlegt, was es gerne wäre. Mein Lieblingswerkzeug ist von Flexcut und sorgt immer mal wieder für Pflasterbedarf. Da „Feinewerkzeuge“ Flexcut-Produkte in Rolltaschen-Sets hat, die noch bezahlbar für mich sind, habe ich mit riesen Begeisterung dort weitere Schnitzeisen gekauft. In den Rolltaschen ist EXTRA noch einmal vermerkt, dass die Sachen extrem scharf sind. Ich sach mal so: ein Handy drauf ablegen und wieder hochnehmen kann dann schon mal zu einer blutigen Angelegenheit werden.



Es ist oft ein beinahe meditativer Schöpfungsprozess – und mich einfach in ein Stück Holz zu vertiefen und zu schauen, was es dann tatsächlich wird, das ist sehr wohltuend. Es ist so wunderbar unperfekt und sieht oft eher unordentlich aus – und genau DAS tut mir gut. Denn ich fühle mich von viel zu viel Perfektionismus umgeben, von viel zu viel Äußerlichkeiten – denn es muss nach ja immer alles toll und super sein, blitzen und funkeln. Der schöne Schein ist alles, was zählt. Und Schnelligkeit. Schnelligkeit ist unglaublich wichtig! Denn Zeit ist... ja, was eigentlich?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr Dinge erfunden bekommen, die Zeit sparen und uns das Leben erleichtern sollten. Aber irgendwie ist genau das Gegenteil eingetreten. Alles das, was doch so toll Zeit sparen soll, macht das Leben nur viel stressiger. Weil man die gesparte Zeit nämlich nicht dafür verwendet, vielleicht achtsamer zu sein und Luft zu holen, sondern da lieber noch Arbeit und Tun reinquetscht bis zum „geht nicht mehr“. „Nur noch eben schnell“. Interessanter Weise halten wir und dafür für die Krone der Schöpfung und enorm intelligent. Ich wage das einfach mal zu bezweifeln.

Nick und Opas Zugeisen. Aus dem Ast ist der Zauberstab entstanden.


Was Junior anbelangt hatte er letztes Jahr durch die Chemo einen zusammengeschmolzenen Tumor, das war ganz schön. Aber es war klar, dass es nicht so bleibt. Im Januar ist der Tumor schon wieder etwas gewachsen – und das neueste MRT zeigt, er hat wohl ziemlich gestreut und ist noch weiter gewachsen. Das merke ich auch an dem, was Nick noch kann – oder eben nicht mehr kann. Er hatte dann beim MRT-Nachgespräch genau zwei Optionen: Nichts mehr machen und auf den Tod warten oder noch eine andere Chemo-Kombination versuchen um Zeit zu gewinnen. Er hat sich für Letzteres entschieden. Einen neuen Port bekommt er dann auch, die OP ist montag morgen. Dann hat er einen links und einen rechts, weil der alte Port eingewachsen ist und zu dicht am Herzen liegt.

Gründonnerstag fängt die Chemo mit Procarbazin an, die geht über 14 Tage - und wir müssen dann ziemlich mit dem Essen aufpassen, weil Nick keine Sachen essen und trinken darf, die den Stoff Tyramin enthalten. Das wird ganz spannend werden. Es überschneidet sich zum Teil mit "Ihr Cholesterinspiegel ist zu hoch" was mich anbelangt. Wobei ich noch angestrengt darüber nachgedacht habe, was zum Teufel das verursacht hat, weil ich ja eigentlich schon aufpasse, dann bekam ich einen Zettel in die Hand gedrückt "falls ich umstellen will". Heute habe ich dann gelesen, dass Stress den Cholesterinspiegel enorm anheben kann. Ach, sie mal einer guck. Üblicher Tipp: "Reduzieren Sie ihren Stress!". Danke. Also sollte ich nicht mehr für mich zum Arzt gehen. Zack, deutlich weniger Stress! 





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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.