Aus Freude am Gefühl...
„Das ist so ein richtiges Neuruppiner
Urgestein!“ wurde mir erklärt „Der kann richtig viele
Geschichten erzählen“. Damit war meine Neurgierde geweckt. 20
Minuten nach meinem Anruf saßen Nick und ich diesem „Urgestein“
gegenüber. Ja, Hans-Hermann Degener kann viel erzählen, auch sehr
berührend erzählen. Von vor dem Krieg, als die Leute noch mit Pferd
und Wagen in die Stadt gekommen sind oder im Winter mit dem Schlitten
oder wie es war, als der Seedamm kaputt war und die Russen im Laden
standen. Er erzählt vom Neuanfang, Wiederaufbau – von der Zeit,
als der Betrieb halb verstaatlicht wurde, von der Wende – und von
einem neuen Anfang. Mit 60.
„Sie können sich das nicht
vorstellen, das muss man erlebt haben!“ sagt er. Stimmt. Ich habe
es – zum Glück – nicht erlebt, aber es war mal wieder
Fremdschämen angesagt. Das ist es öfters, wenn ich mitbekomme, wie
mit den Versprechen auf „blühende Landschaften“ skrupellose
Menschen aus dem Westen hier alles platt gemacht haben, weil sie
allein ihre Ansicht von Marktwirtschaft und ihre Einstellung und
Vorurteile über das Leben im Osten als das alleinige Seelenheil
angesehen haben. Was ich recht gut nachempfinden kann: neu
anzufangen. Mittlerweile sind Nick und ich darin ja quasie
Spezialisten. Im Moment stecken wir immer noch im „dreieinhalbten“
Neuanfang. Aus fast Nichts das uns geblieben ist, eine Zukunft
basteln und mit dem, was passiert ist, lernen klar zu kommen. Vielen
Dank, Herr Degener! Sie haben mir gezeigt, das wir hier in Neuruppin
damit eigentlich ganz gut aufgehoben sind. Vielleicht besser, als
anderswo. Das man den Mut nicht verliert. Das man aus dem, was
passiert ist, lernt und neu anfangen kann.
Aber eigentlich soll es jetzt ja um
Kunst gehen – und Herr Degener beherrscht als gelernter
Destillateur nicht nur die hohe Kunst, scharfe Schnäpse und den
leckeren Klosterlikör zu kreieren, sondern wer mit „Nase und
Zunge“ arbeitet(e), braucht einen Ausgleich. Das ist bei ihm die
Bildhauerei. Das Gestalten mit Holz, Ton und Metall. Acht Jahre hat
er gelernt, die verschiedensten Materialien zu be- und verarbeiten.
Nebenbei, aus Freude und nicht, um davon irgendwie zu leben.
In seinen Arbeiten steckt sein Herz und
seine Liebe zum Material und Schaffen. Stolz zeigt er auf ein
viereckiges Stück Holz. „Das ist ein Stück alter Balken aus einer
Scheune, Eichenholz, daran habe ich verschiedene Techniken
ausprobiert. Das kann man nicht verkaufen – denn dann würde es
irgendwo herumstehen und niemand wüsste um den eigentlichen Wert,
den es hat!“ stimmt ebenfalls. Wer mit so viel Liebe an seinen
Stücken arbeitet, so viel Herz hineinlegt, für den ist fast jedes
Stück auch wie ein Kind. Man kennt die Geschichte, weiß, wie es
„gewachsen“, „entstanden“ ist und viele Erinnerungen hängen
daran. Für 999 Menschen wäre es ein Stück Holz, das auf jeder
Seite anders bearbeitet wurde – für einen einzigen Menschen ist
dieses Stück Holz eine kleine Welt für sich. Nämlich für den, der
aus einem vierkantigen Balkenrest diese kleine Welt erschaffen hat.
Es gibt viele kleine und große
„Welten“ von Herrn Degener, die im Laufe vieler Jahre entstanden
sind. Die Perestroika in einem Stück Stamm, Adam und Eva, kleine
Metallfiguren. Auf einem Regalbrett ist ein Stück von einer Eiche zu
sehen. Genauer: eine überdimensionale Darstellung von genau dem Ende
eines Zweigleins, wo drei Eicheln in ihren „Körbchen“ gesessen
haben. Es gibt kleine Tonbilder – und größere Tonbilder, einen
Akt in Ton – und eine Büste „Das ist meine Mutter!“.
Entstanden ist sie während der Ausbildung in Potsdam 1980. Da war er
50 Jahre alt und sollte für seine Gruppe ein Modell mitbringen. Das
junge Mädchen, was dafür vorgesehen war, hatte sich kurzfristig
krank gemeldet und so ist seine Mutter eingesprungen. Manchmal gibt
es wirklich glückliche Umstände und das ist definitiv einer davon,
denn die Büste ist einfach total schön geworden und für einen
Familienmenschen, wie er es ist, eine tolle Erinnerung.
Wofür steht die Kunst von Hans-Hermann
Degener? Was kann man von ihm lernen? Die Wenigsten werden wohl seine
Stücke zu sehen bekommen. Das ist manchmal ein bisschen schade.
Eines steht auf dem Parkplatz beim Tierpark Kunsterspring, ein
Mahnmal.
Es gibt den Ausspruch „das ist eine
brotlose Kunst“. Das bedeutet, jemand macht etwas, aber er bekommt
dafür nicht so viel materiellen Gegenwert, das es ihn längerfristig
satt machen würde. Wer Kunst macht und liebt weil er Freude am
Schaffensprozess hat und an dem Material selbst, der wird sich
überwiegend seinen Kühlschrankinhalt auf eine andere Art und Weise
verdienen als durch seine Kunst. Was nicht bedeutet, das ein
„Berufskünstler“ weniger Spaß und Freude daran hat – er kann
sich nur nicht immer aussuchen, was er wirklich von Herzen und aus
tiefster Seele gerne machen möchte. Denn Beruf ist das, was den
Bauch satt macht und Berufung das, was die Seele satt macht. Beides
kann man sehr lieben – aber nicht immer kann man auch beides
perfekt miteinander verbinden. Das ist auch gut so – denn sonst
gäbe es entweder keinen leckeren Klosterlikör (und einige andere
Rachenputzer) oder keine kleinen und großen Kunstwerke des
Hans-Hermann Degener.
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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.