Donnerstag, 28. Mai 2015

Kultur: Ost-West-Ost. Stadt der Helden. Neuruppin.


Pfingstsonntag war die Eröffnung der 20. Ausstellung im Kunstraum Neuruppin. Der 20. Ausstellung in den 3 Jahren, seit dem es den Kunstraum hier als Galerie gibt. Wäre alles so gelaufen, wie ursprünglich mal angedacht, wäre das jetzt erst die 10. oder 12. Ausstellung – aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. 

Toi-Toi Moskau.

Nun gibt es dort also Fotos zu sehen. „Ost – West – Ost“ deshalb, weil einer der Fotografen, Gerhard Hopf, Leipziger ist. Dazu wollte Herr Bunk ein passendes Gegenstück aus dem Westen der Republik finden, hat in Köln gesucht und Igor Chepikov gefunden. Wie der Name schon vermuten lässt – so ein richtiger Urkölner ist er nicht und das Ende vom Lied ist – im Westen wurde also ein Fotograf als Pendant zu Herrn Hopf gefunden, der noch weiter aus dem Osten kommt als der Ossi, nämlich aus Moskau.


Dort sind die Fotos aufgenommen worden, die er gemacht hat – und der Titel seiner Ausstellung heisst: „Stadt der Helden“. Denn das möchte Moskau ja immer sein. Es gibt viele tolle Ansichtskarten mit bunten Bildern und beeindruckenden Gebäuden. Nicht in der Ausstellung, sondern in meiner Postkartensammlung. Auch Herr Putin legt viel Wert darauf, das Moskau immer ganz glänzend in den Medien dasteht. Wobei, das stellte der Fotograf klar, seine Bilder keine politische Aussage treffen. Sie sind völlig unpolitisch zu sehen.


was dem Moskauer seine lustigen Blechplatten ist dem Neuruppiner sein Stanzblech aus er Leiterplattenfabrik

Aber wie das so ist: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten – und genau darum geht es in den Bildern von Herrn Chepikov. Die sind übrigens schwarz-weiß und als ich die gesehen habe, fiel mir als erstes ORWO ein. Diese genialen Schwarzweiß-Filme die wir früher zu Dutzenden verbraucht und entwickelt haben, weil sie so eine tolle Vielfalt in den ganzen Tönen haben. Auch das mag ich sehr am älter werden – die Lebenserfahrung steigt und manchmal hat man Jahrzehnte später Begegnungen mit seiner eigenen Vergangenheit. Nun steht man dann in der Galerie vor den ganzen großen Bildern die in ihrer wundervollen Körnigkeit und ihrem „Unhochglanz“ die ganze breite Palette von Weiß über viele Grautöne bis Schwarz zeigen und guckt. Oh, zwei fette Schweine mitten in der Stadt!“ - ups, nein, bei näherem Hinsehen, dicke Leitungen von Gas oder Fernwärme hinter Gittern, damit niemand auf die Idee kommt, sie anzuzapfen oder so. Sieht nur auf dem ersten Blick aus wie zwei fette sitzende Schweine von hinten.

Schweinehaltung in der Stadt? Nein, anzapfsichere Fernleitungen.


Ich denke, dass viele Leute sich beim Anblick der Bilder fragen: „WAS soll daran Kunst sein? Das wären Bilder, die ich wegwerfen würde, weil ich nur die tollen Dinge fotografiere!“ - also im Endeffekt genau das, was uns tagtäglich in den Medien und als Postkarten immer wieder vorgespiegelt wird: „schöne Motive“ zu haben. Beeindruckende Bauten, alles das, was etwas her macht: „Hey guckt mal, hier waren wir auf dem Eifelturm, da beim Kreml und dort auf der Chinesischen Mauer!“. Das erhöht den Wiedererkennungseffekt für alle, die dort auch oder nie waren und die Motive nur aus den Medien kennen und schindet Eindruck.


Ich habe ein paar Tage nachgedacht und auch an einen Familienurlaub als ich noch ein Kind war. Wir sind als Tagestour von Österreich aus als nach Venedig gefahren. Klingt ja schon mal echt interessant und natürlich waren wir gespannt auf die Stadt mit den vielen Kanälen und allem Pomp, den es dort zu sehen gibt. In Venedig hatten wir aber keine Führung, jeder war auf sich alleine gestellt. Also wir als Familie auch und es kam wie es kommen musste – den Markusplatz haben wir gesehen, ganz nett – und dann sind wir irgendwie hinter die Fassaden von dem ganzen hochglanzpolierten Touristenzirkus geraten und dort herumgeirrt. Am beeindruckendsten damals fand ich ein Beerdigungsschiff. Und das ganze marode Elend.


„Stadt der Helden“ guckt hinter die Fassade von Glanz und Gloria. Und das ist gut so, denn genau DAS ist für die Mehrheit der Bewohner dieser Heldenstadt Alltag. Als letztes Jahr in einem Vortrag die Neuruppin-Strategie vorgestellt wurde, war ein Satz von einem Stadtplaner derjenige, der sich regelrecht eingebrannt hat bei mir. Er meinte: „Es kann doch nicht sein, das wenn die Touristen von der Innenstadt aus ins Grüne wollen, sie durch Garagenplätze und Hinterhöfe laufen müssen!“. Natürlich verstehe ich, das er jeden Winkel von Neuruppin möglichst „schön“ präsentieren möchte und es bestimmt schick wäre, auf eine Art „grünes Band“ zu verweisen, einen schön gepflasterten Weg mit jungen Bäumen an den Seiten, der in den grünen Stadtrandbereich führt. So etwas sieht auf jedem Modell eindrucksvoll aus. Aber letztlich bleibt doch die Frage: Ist DAS dann wirklich unsere Stadt? Wenn ich in eine Stadt komme, die mich interessiert, dann möchte ich doch eigentlich auch wissen, wie die Leute dort leben. Dazu gehört auch ein Blick hinter die Fassaden. Neuruppin ist nun einmal kein Museumdorf, kein Disneyland, kein Center Park oder sonstwas. Das Leben hier ist mehr als die Fassaden der historischen Altstadt.

Deshalb haben auch Wege durch die Garagenhöfe ihren Charme, nicht zuletzt deshalb, weil sie zum Teil das über Jahrzehnte / Jahrhunderte gewachsene Leben in dieser Stadt mit am ungeschminktesten zeigen. Dort gibt es keine klassischen Postkartenmotive – wohl aber welche, die es allemal wert sind, auf Fotos festgehalten zu werden.


auch hier kann Neuruppin es locker mit Moskau aufnehmen. "Guck nicht, was ich habe!"

Stadt der Helden. Während sich in Moskau die Prominenz in Pomp und Protz präsentiert, erfrieren wenige hundert Meter weiter im Winter Menschen in ihren Wohnungen. Weil sie zu arm sind, zu heizen. Kinder und Jugendliche (und ja, auch Erwachsene), die „übrig“ sind, die verlassen wurden, „entsorgt“, leben im Untergrund und in Abrisshäusern, schlagen sich durch und versuchen zum Teil mit Chemiedämpfen ihr Elend zu vergessen. Die Bilder von Herrn Chepikov zeigen hinter die Fassade. Das ist schon trostlos anzusehen. Aber das, was in der Ausstellung dort gezeigt wird, ist eigentlich noch „leichte Kost“ - und ich denke, es ist bestimmt gar nicht so einfach, wenn man aus Moskau kommt und Künstler ist, im Westen dann etwas über Moskau zu machen, ohne das es einen politischen Hintergedanken hat.


Und dann auch noch in Neuruppin... ;-)





Viel Spaß mit den Bildern, die Galerie findet ihr in Neuruppin an der Post, geöffnet hat sie von Mittwoch – Sonnabend 15 – 18 Uhr, Sonn- und Feiertags von 11 – 13 Uhr sowie nach Vereinbarung. Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. Juli 2015


Www.kunstraum-neuruppin.de







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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.