Nachdem
Joey bei vielen Hundebegegnungen komplett abgedreht und ausser sich
geraten ist, habe ich ihn ja erst immer irgendwann herzhaft in den
Nacken gepackt und auf den Boden gedrückt. Das sah (und sieht)
gemein und brutal aus und damit handelt man sich manch bösen Blick
anderer Leute ein. Für Joey ist es sicherlich auch nicht angenehm.
Aber man stelle sich einfach mal vor, was passiert, wenn man in den
Bewegungsradius eines außer sich geratenen Hundes gerät. Egal ob
als anderer Hund, als Besitzer, Kind, Erwachsener, ob zu Fuß oder
mit dem Rad.
Es
ist nicht so, das ich vorher nicht andere Sachen versucht hätte –
aber dass hat alles nichts gebracht. Auf Worte reagiert er nicht.
Quietschies interessieren ihn überhaupt nicht. In die andere
Richtung gehen – ja, ist aber genau dann doof, wenn von dort auch
ein Hund kommt. Ausweichen ist ja auch gar nicht Sinn der Sache,
sondern Joey soll lernen, das Hundebegegnungen gesittet ablaufen
können. Er will ja nichts Böses – er will einfach nur jeden Hund
kennen lernen. Vielleicht sucht er auch einfach „alte Kumpel aus
Finikounda“?
Vor
einigen Tagen ist er so dermaßen durchgedreht, das ich in dem Moment
dachte: „Scheiß was auf das Gerede vom Alpha-Wurf und wie
schädlich das angeblich für den Hund ist!“. Nach einigem Gerangel
habe ich ihn auf den Rücken befördert. Eine Hand an der Kehle, eine
an der Flanke und unmißverständlich klar gemacht, das es jetzt
reicht und er erst dann wieder aufstehen darf, wenn ich das will. Er
wirft sich auch schnell mal hin und macht eine Unterwerfungsgeste –
aber der Instinkt sagt ihm: „Danach geht es weiter!“ - diesmal
nicht. Immer, wenn er den Kopf wieder gehoben hat: „Runter damit,
ich meine das wirklich ernst!“
Das
hat er dann auch begriffen. Und wenn es ihn verunsichert hat – ja,
dann ist doch eigentlich gut. Denn seine bisherige SICHERHEIT war ja
das Wissen, sofort wieder aufspringen und weiter Rabatz zu machen.
Das ist, was er in seinem bisherigen Leben gelernt hat: Immer wachsam
sein. Also braucht es durchaus VERUNSICHERUNG um neu zu lernen.
Darüber habe ich aber erst später nachgedacht.
Joey
lag also da, hat mit Nachdruck erlebt, das ich eine sehr klare Ansage
mache... und der Kopf blieb tatsächlich unten, der Atem wurde
ruhiger. Meiner übrigens auch. Es gibt auch mir eine Auszeit um Luft
zu holen, Leinen zu sortieren, mir den Schweiß abzuwischen, gucken,
ob ich irgendwo blute ob der ganzen Kratzer und Farino zu loben, weil er einfach ruhig stehen bleibt und wartet bis der Kleine sich wieder berappelt hat. Dann
geht es weiter. Deutlich ruhiger und dafür wird gelobt. OK, beim
ersten Mal kam nach zwei Minuten dann eine Katze... :-(
Ich
habe das zwei Tage lang bei jeder Hundebegegnung gemacht, wo er
komplett ausgeflippt ist. Er flippt ja nicht bei jeder Hundebegegnung
so aus, sondern nur bei wenigen. Nach dem zweiten Mal brauchte er
schon gar nicht mehr auf dem Rücken liegen - einfach nur auf der
Seite. Binnen einer Minute war der Hund deutlich entspannter. Einmal
ist er sogar dabei weggedöst. :-D Er bekommt dann auch nicht mehr
viel mit. Ein Auge ist unten, eines guckt zum Himmel – Hund oder
Katze sind gar nicht mehr im Blickfeld.
In
diesem Fall war es eine richtige Entscheidung, so zu handeln, denn
ein Straßenhund kann mit „Nein, lass das bitte sein!“ nichts
anfangen und lieber wenige Male etwas herzhafter zupacken und sich
durchsetzen und damit dem Hund (und sich selbst) eine Möglichkeit
geben, sich zu entspannen – und ihm letztlich neben dem „das
Verhalten ist unerwünscht!!!!!“ auch zu vermitteln: „und wenn du
auf dem Boden liegst, dann kannst du entspannen, denn ich passe auf
dich auf!“.
Wenn
ich so beim Schreiben darüber nachdenke... ich kann Joey verstehen.
Es ging mir sehr lange Zeit genau wie ihm. Ich hatte mit Stalkern zu
tun und habe eine Trennung hinter mir, die sehr unschön ist. Ich
weiß nur zu gut wie es ist, aus der Haustüre zu gehen und
schlagartig komplett angespannt und wachsam zu sein. Es ist
wahnsinnig anstrengend und belastend! Manchmal ist Sicherheit nämlich
genau das: ständige Anspannung und Wachsamkeit. Es nicht zu sein,
kann böse ausgehen. Wenn ich als Mensch schon lerne, das letztlich nur ich selbst für meine Sicherheit verantwortlich bin weil alles andere letztlich nichts weiter als Papier und mehr oder minder gut gemeintes Gerede ist - wie muss es da erst einem Hund gehen?
Erst
als ich Joey mit Nachdruck gezeigt habe:“Wenn du unten bist, dann
passe ich wirklich auf dich auf und dir passiert dann auch ehrlich
nichts!“ hat er nach und nach begriffen: „Das ist ja tatsächlich
so!“ - und ein Stück seiner bisherigen Sicherheit gegen ein Stück
wirkliches Vertrauen eingetauscht. Vertrauen ist nicht, dass ein Hund
jedem Menschen gegenüber freundlich ist. Denn das kann auch so eine
Art „Vertreter-Mentalität“ sein: immer schön nett und
freundlich zu allen sein, damit erarbeitet man sich Vorteile. Als
Hund unter anderem die Möglichkeit, schneller an Futter zu kommen.
Ich
habe Joey seit zwei Tagen nicht mehr so hinlegen müssen. Heute ist
er noch mal etwas mehr ausgerastet, da hat es gereicht, das ich
irgendwann seinen Kopf einfach gegen mein Bein gedrückt habe. Noch
nicht mal mit viel Nachdruck, einfach als „so, jetzt guckst du mal
in eine andere Richtung und holst Luft!“. Das nenne ich
Fortschritt. Und wirklich wachsendes Vertrauen.
ABER...
im Prinzip haben die Hundefachleute tatsächlich Recht, die sagen,
dass so ein „Alpha-Wurf“ nicht gut ist – denn es kann genau das
Gegenteil eintreten: vorhandenes Vertrauen vom Hund in den
Hundeführer wird komplett zerstört oder nicht vorhandenes erst
recht nicht aufgebaut - und im schlimmsten Fall gibt es einen üblen
Beißvorfall!
Ich
habe das Glück, Farino dabei zu haben, der mit viel Gelassenheit und
Ruhe vermittelt, dass auch wenn ich mal zupacke, trotzdem alles in
Ordnung ist. Als Orientierung für Joey ist das sehr wichtig. Als
Mensch kann ich letztlich noch so gut meinen – ich bleibe immer ein
Mensch. Meine Sprache und mein Handeln ist menschlich, selbst dann,
wenn ich mich bemühe „hündisch“ rüberzubringen. Farino ist ein
Artgenosse. Seine Ruhe und Gelassenheit ist glaubhafter als alles,
was ich Joey je sagen könnte.
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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.