Kuchen? Lecker! Hier hat der Bär gesteppt. Warum ihr nächstes Jahr hier mitsteppen sollt und warum ich ein toller Kerl bin, erklärt euch Frauchen jetzt mal |
„Nick hat einen Hummer im Kopf!“
- sein Kumpel Joost zu seiner Mutter,
nachdem die Kindergärtnerin erklärt hat, warum Nick lange nicht
mehr in den Kindergarten kommen wird.
Manchmal muss ich irgendwo eintragen, was die Grunderkrankung meines Sohnes ist. So steht auf der Zeile dann „Zustand nach Medulloblastom“ - und hinter den drei sachlichen trockenen Worten versteckt sich eigentlich eine A4 Seite an „Zustand nach“. Weil der „Zustand nach“ war, dass kaum irgendwelche Neben- und Folgeerkrankungen ausgelassen wurden. Mein Kind ist der lebende Beweis dafür, das Prognosen zwar die Summe der Erfahrungen bei einer bestimmten Sache sind... aber dass es manchmal auch ganz anders laufen kann. Es war der 11. Geburtstag seiner großen Schwester, an dem unser Leben als Familie aus den Fugen geraten ist.
Einen Tag später ging es mit Rettungswagen und Blaulicht nach „Ganzweitwegvonzuhause“. Die erste von mehreren solcher Fahrten. Zweieinhalb Stunden mit Blaulicht über Autobahnen, weil der Zustand kritisch ist, den Transport aber gerade eben so zulässt. Zwei Wochen später, kurz nachdem der Nikolaus mit dem Hubschrauber vor der Klinik in Ganzweitwegvonzuhause gelandet ist um auf allen Stationen die Kinder zu besuchen, war „mein“ Nikolausgeschenk, dass mir erklärt wurde, wie die Scheiße heisst. „Medulloblastom“ wurde mir mit ganz ernstem Gesicht vom Oberarzt erklärt. Das es gleichbedeutend ist mit Krebs, das habe ich damals erst später begriffen.
Medulloblastome sind Hirntumore und damit eine der ungefähr 120 verschiedenen Krebsarten, die es gibt. Es ist ein Tumor des Zentralnervensystems. Da jeder Mensch eigentlich von klein auf lernt, wie empfindlich das Gehirn ist und das es eigentlich das Gehirn und seine Leistung ist, die uns Mensch sein lässt, haben Hirntumore im Prinzip schon eine besondere Stellung. „Was hast du denn schon für Probleme? Du hast dein Kind noch, meines ist gestorben!“ brüllte mich einmal eine Mutter an, deren Kind an Leukämie verstorben war. Damals war mein Kind ein schwerstbehinderter Vollpflegefall und es war klar, das es immer behindert bleiben würde. Sebastian war tot. Der hatte sein Leben hinter sich. Aber mein Kind und wir als Familie... wir hatten ein Leben vor uns, von dem nicht klar was, wie es wird. Das war das letzte Mal, das ich zu einem Treffen der Elterninitiative gegangen bin.
Wenn es bei der ganzen Sache etwas Gutes gibt, dann die, dass das Leben uns die ganze Sache in „kleinen Häppchen“ serviert hat. Im Nachhinein ist es, als ob du vor dem Mount Everest stehst, es nicht merkst das er das ist und einfach losläufst, weil der Weg des Lebens da nun einmal drüber führt. Und ja, die Luft wird verdammt dünn, wenn man weiter geht – und so ein Mount Everest sortiert ziemlich gnadenlos aus. Er wird zu einem Teil deines Lebens. Ob du drüber kommst oder nicht, ob du direkt betroffen bist oder Elternteil eines krebskranken Kindes. „Wind und Wetter“ so einer Erkrankung und der Folgen gerben nicht deine Haut – aber deine Seele und viele Stürme schmirgeln die Schutzschicht in manchen Bereichen mitunter papierdünn.
„Rudern gegen Krebs“ ist eigentlich
auch wunderbar doppeldeutig. Denn das Leben gerät erst einmal völlig
aus dem Ruder. Aber was ist das eigentlich? Warum soll man gegen
Krebs rudern? „Rudern gegen Krebs“ ist eine Benefizregatta. Die
Erlöse dieser Regatta werden unter anderem dazu aufgewendet, das
Krebspatienten unabhängig davon, was sie für ein Einkommen haben
und was sie von ihrer Krankenkasse zugebilligt bekommen, für sie
begleitende und angepasste Sportangebote angeboten werden. Denn man kann sich
aufgeben wenn man die Diagnose bekommt – und man kann kämpfen. Die
Behandlung ist anstrengend, angepasste Sportangebote helfen, mit den
Auswirkungen besser klar zu kommen. Es sind Moti-Vieren, die viele
Patienten dringend brauchen!
Jeden Tag werden wir in Klatsch- und
Tratsch-Blättern mit Berichten über Krebserkrankungen und
vermeintlichen neuen Therapien konfrontiert. Besonders wenn
irgendwelche Personen des öffentlichen Lebens an einer der vielen
Krebsformen erkranken, kommt es mal wieder ganz dicke im Blätterwald.
Betrifft Kinder weniger, aber Erwachsene, die das serviert bekommen.
Egal ob direkt oder durch „wohlmeinende
Angehörige/Freunde/Kollegen/whatever“.
Geht es um neue Therapieansätze, kräht
die Presse schon extrem laut, wenn diese letztlich gerade mal
abstrakt irgendwelchen Gehirnwindungen entschwunden sind und schürt
leider oft falsche Hoffnungen. Das ist einfach so, denn auch solche Artikel lassen ein Blatt gut verkaufen. Dazu kommt, das
Krebspatienten ein lukrativer Absatzmarkt irgendwelcher
geschäftstüchtiger Wunderheiler ist, denen es eigentlich völlig
egal ist, ob das, was sie da teuer verkaufen wirklich geeignet ist,
ausgerechnet beim Kampf gegen entartete Körperzellen zu helfen –
oder ob es letztlich einen Effekt wie Düngemittel für diese Zellen
hat.
Es gibt viele Gründe, warum man
Moti-Vieren braucht um diese Krankheit durchzuhalten. Viele Gründe,
warum man genau dann auch ein angepasstes Sportprogramm benötigt,
das sicherlich wirkungsvoller ist, als irgendwelche
Pflanzenextraktsäfte, deren wundersame Studien im Hinterland von
Timbuktu gelaufen und deren Ergebnisse auf Sand notiert wurden. Oder
die Papiere sind von wilden Tieren gefressen worden. Jedenfalls
findet man sie nirgendwo. So ein Bewegungsangebot ist auch wirkungsvoller, als wenn man in
der ganzen Therapiezeit hundert mal „ach, Kopf hoch, das schaffst
du schon!“, „Das Leben geht weiter“ oder „ach Gott, ach Gott,
wie schlimm!!!“ hört. Sport motiviert Körper und Seele und
Sporttherapeuten sind wichtig, aber oft eben nicht im regulären
Klinikbudget oder in der Kassenleistung drin (genau so wenig wie
Klinikclowns).
In Neuruppin hat diese Regatta schon
zum 7. Mal stattgefunden. Dieses Jahr haben wir sie das erste Mal
miterlebt – und es ist ein Volksfest, auf dem viel los ist. Die
Promenade leuchtete in weiß-blau. Die örtliche Filmcrew hatte einen
Leiterwagen organisiert, aufgestellt und Bilder aus einer Kamera zum
Teil sofort auf eine große Leinwand übertragen, Es gab Musik und
Ansagen aus großen Lautsprechern (danke für die Trainingseinheit
mit Joey), Kinderbelustigung, Erwachsenenbelustigung und so weiter.
Nächstes Jahr wird es sie sicherlich
wieder geben. Wenn ihr mir und an Krebs erkrankten Leuten einen
Gefallen tun wollt – geht hin. Und stopft euch lieber den Mund mit
Benefizkuchen voll, anstatt auf die Idee zu kommen, zu einem
Krebskranken „ach Gott ach Gott wie schliiiiimmm!“ zu sagen oder
irgendeine andere Floskel. Oder zu Angehörigen: „Wie du das nur
aushälst, also IIIICHHH könnte das nieeeee!“. Mit so einem Gerede
tut ihr nichts Gutes. Da man nun einmal mit vollem Mund nicht redet,
aber in diesem Fall etwas Gutes tut – esst Kuchen. Oder Hotdogs,
oder Bratwurst...
Oder Möhren-Walnuss-Eis. Aber das ist
ekelig. Ausser für Hunde.
Mit Dank an Schröder, Maxi, Titus,
Krani, Ferreira und Farino, als vierbeinige Therapeuten und die
ganzen Physio-, Ergo-, Moto-, Musik-, Reit- und Psychotherapeuten
sowie Marylin & Carlotta, die Klinikclowns.
Ohne alle diese Tiere und Menschen wäre Nick nicht so, wie er jetzt ist. Letztlich hat die Kasse nur einen Bruchteil von denen dafür bezahlt, dass sie meinem Kind seit mittlerweile 13 Jahren wieder ein relativ normales Leben ermöglicht haben. Je üblicher das Leben, desto weniger Therapeuten waren notwendig.
Ohne alle diese Tiere und Menschen wäre Nick nicht so, wie er jetzt ist. Letztlich hat die Kasse nur einen Bruchteil von denen dafür bezahlt, dass sie meinem Kind seit mittlerweile 13 Jahren wieder ein relativ normales Leben ermöglicht haben. Je üblicher das Leben, desto weniger Therapeuten waren notwendig.
Und in Erinnerung an all diejenigen, insbesondere Lena, die für immer gegangen sind.
Also... geht futtern!
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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.