Ein Artikel ganz unhundig, aber ich wollte zwischendurch gerne den Bereich Kunst & Kultur in Neuruppin weiterführen, den ich ja mit dem Adventskalender schon angefangen habe. Also:
"Kultur ist... Denken und Glauben nach
Auschwitz"
Ich war gespannt auf die Veranstaltung in der Klosterkirche,
denn ich mag Philosophie. Philosophie... jetzt überlegen
vielleicht ein oder zwei Leser hier: "was war das noch mal?"
Philosophie klingt so ein bisschen nach beliebten Kindernamen oder
nach Briefmarkensammeln. Weit gefehlt, Philosophie ist die „Liebe
zur Weisheit“. Seit Urzeiten denken Menschen darüber nach, was
wieso weshalb und warum passiert, manchmal denken sie auch über das
wo nach.
Kommen euch die W-Wörter bekannt vor?
Ja? Genau, das sind die fünf Wörter, die ihr wissen müsst, wenn
ihr irgendwie mal den Rettungsdienst anruft. Nur das Wort „warum“
müsst ihr durch „wieviel“ ersetzen. Eigentlich hätte es eine
echt interessante Diskussion werden können, wenn diese nicht
irgendwie im Vorfeld schon durch den Professor für Philosophie,
Herrn Böhler, und Frau Herrmann durch einen riesigen Wörterwal
platt gemacht worden wäre. Es war eher "Jonas und der Wörterwal". Wörter so mächtig aufgetürmt wie ein Blauwal mit genau dem gleichen Effekt, wenn es ums platt machen von etwas geht.
Ich denke mal, das war auch der
Grund, warum nach Teil eins und zwei doch einige Leute aufgestanden
und verschwunden sind. Schade, denn es waren ungefähr 60 Leute in
der Klosterkirche, die an dem Thema interessiert waren – und sich
durchaus damit auseinander setzen wollten. Der kleine Raum oben war
also rappelvoll und es wäre eine tolle Chance gewesen, Neuruppin
wirklich ein Stück bunter zu machen, einen Dialog zwischen mehr als
nur 6 Leuten zu fördern, von denen sich vier ohnehin gut kannten und
einer wirklich wichtigen Frage auf den Grund zu gehen.
Aber dann hat man einen studierten
Philosophieprofessorvor sich, der betont, er wäre Wissenschaftler. Schwupps,
kippen er und seine Begleiterin er nach einigen Buchempfehlungen
kübelweise Wörter von und über den Philosophen Hans Jonas, dessen
Ansichten und Denkweise und die verschiedenen Sichtweisen über die
Leute aus. Eigentlich hätte im ganzen Raum ein großes Fragezeichen
über den Köpfen schweben müssen. Aber alle waren so höflich so zu
tun, als ob sie verstanden hätten, was die uns da erzählen. Ihr
könnt mir glauben, es war so. Wenn jeder wirklich verstanden hätte,
was dort von den Philosophen erzählt wird, wäre Neuruppin schon
deshalb sehr reich, weil sie eine Stadt mit vielen Menschen wären,
die in Sekundenbruchteilen lange Sätze mit 8 – 10 Fremdwörtern
komplett verstehen würden. Selbst wenn man den Text vor sich liegen
hätte um ihn zu lesen, wäre man nicht in der Lage, den Sinn und die
tiefere Bedeutung so schnell zu erfassen. Deshalb ist tatsächlich
ein regelrechter Wörterzunami über uns hereingebrochen oder sehr
krass ausgedrückt: Das Bullshit-Bingo der Philosophie.
Wobei der Anfang noch recht interessant
war, Prof. Böhler stellte unter anderem das Buch „Hitlers 10
Gebote“ vor, erklärte, was es mit „Sklavenmoral“ und
„Herrenmoral“ nach Nietzsche auf sich hat.
„Wenn Philosophie die >Liebe zur
Weisheit< ist“, habe ich während des Zunamis irgendwann
überlegt, „wie kann so etwas dann überhaupt Philosophie sein?
Sollte Weisheit nicht etwas sein, was für VIELE Menschen
verständlich ist – und nicht nur für wenige, eingeweihte?“ Es
ging letztlich um die Frage, ob es Gott gibt, und ob er tatsächlich
allmächtig ist – und wenn er es wäre, warum er so etwas wie
Auschwitz zugelassen hat. Philosophie und Religion sind schon immer
eng verzahnt gewesen – denn letztlich ist Religion und Glauben im
Kern nichts anderes.
Es wäre in Ordnung gewesen, den
Philosophen Jonas, der jüdische Wurzeln hat und dessen Mutter in
Auschwitz umgebracht wurde, als Grundlage zu nehmen. Deshalb sind die
Leute ja auch gekommen. Aber statt „was und wie dürfen WIR jetzt
eigentlich denken und glauben???“ ging es eigentlich um einen oft
auf die Schnelle (des Vorlesens) unverständlichen und komplett
überladenen Vortrag von Hans Jonas: „Der Gottesbegriff nach
Auschwitz, eine jüdische Stimme“. Der Vortrag (in Buchform umfasst
er 38 Seiten!) wurde vorgelesen und es war für mich etwa so:
„blabla Hiobsnachricht blablablabla Makkabäerzeit blablabla
heilig, heilig, Gott, blabla, Schrecklich, furchtbar,
Kiddusch-haschem, Opfer, Propheten, Unsterblichkeit, blabla GOTT IST
VERSTÄNDLICH blablabla, platonisch-aristoteles, Transzendens, Gott,
heilig, Metaphysik, Immanenz, blabla...“. Mitten aus dem zu weiten
Teilen unverständlichen Redewust kamen genau diese Wörter – und
das war so herrlich paradox.
Als Platon zitiert wurde, habe ich
gedacht: „Den wirst du nie im Leben lesen, wenn der das so gesagt
haben sollte. Man, muss der zu seiner Zeit guten Stoff zu rauchen
gehabt haben!“. Es ist so, wer sich mit verschiedenen Junkies
unterhält, wird feststellen, das sie oft sehr philosophisch
veranlagt sind ob der bewusstseinserweiternden Drogen. Da braucht es
gar nicht unbedingt ein jahrelanges tiefgreifendes und
strunztrockenes Studium für, das einen den Job eines Taxifahrers
oder Bo-Frost-Dealers beschert.
Ich mag Philosophie. Es ist toll zu
philosophieren auch wenn man nicht Nietzsche, Kant, Epikur, Aurel und
so weiter auswendig rezitieren kann. Ich mag den griechischen Stoiker
Seneca, weil er sehr verständlich ist – und mein Herz hängt an
vielen Dingen, über die Bonhoeffer nachgedacht hat, bevor er im KZ
umgebracht worden ist. Aber das, was dort an dem Abend abging, war
eine Form der Philosophie, die wie ein dickes Kissen auf die Seele
und die Gedanken gedrückt wird und alles einfach nur durch die Art
und Weise, das Überfrachtete und Überhebliche erstickt und kaum
zulässt, das „Normalsterbliche“ sich auf den Weg machen dürfen,
die unglaubliche Weite und den Zauber der Philosophie zu entdecken.
Das bedaure ich zutiefst.
Sehr wohltuend war dagegen General
Superintendent im Ruhestand Esselbach. Derjenige, der verständliche
Worte fand um einen Teil seines eigenes Weges zu beschreiben. Wie
geht man als „Gottes Bodenpersonal“ damit um, das es so etwas wie
Auschwitz (und viele andere KZ´s) gegeben hat? Wie soll man
Menschen, die oft an Gott glauben möchten und die immer wieder von
der „Gnade Gottes“ und von der „Barmherzigkeit“ gehört und
gelesen haben, erklären, das ein „barmherziger und gnädiger Gott“
so etwas zugelassen hat?
Ich denke, darüber hätten sich viele
gerne unterhalten. Mit verständlichen Worten um genau das, was so
unbegreifbar erscheint, für sich zumindest ein Stück weit
begreifbar zu machen. Die Worte Esselbachs empfand ich als sehr
berührend. Denn er ist authentisch. Man nimmt ihm ab, dass er das,
was er sagt, wirklich meint – und auch lebt. „Wenn ich allein auf
die Vernunft der Menschen hoffen würde, dann hätte ich keinerlei
Hoffnung für diese Welt!“ - dennoch hofft er. Nicht auf die
Vernunft, aber auf so etwas wie wachsende Einsicht. Diese Hoffnung
ist es, die ihn trägt.
Ein toller Mensch.
Aber... wie sehe ICH es?
Denn ich wäre ja nicht zu der Veranstaltung gegangen, wenn mich die
Frage nicht interessiert hätte. Auf allerlei Papieren von mir steht:
ev-lt. Evangelisch-lutherisch. Ich bin mit Kirche aufgewachsen und es
gibt einige Menschen, die meinen Glauben und meine Art zu glauben,
sehr geprägt haben und denen ich dafür sehr dankbar bin. Denn: Ja,
ich glaube – aber mein Glauben fängt mit dem Neuen Testament an
und ich glaube vor allem, das es Jesus gegeben hat. Als coolen Typen.
Nicht weichgespült, gezuckert und auf Wattewolken gepackt. Ich
glaube sogar, dass die „verbotenen“ Evangelien mit die
interessantesten sind. Weil sie NICHT aus Geschichten bestehen, die
im Laufe von über 2000 Jahren immer wieder neu übersetzt, neu
ausgelegt wurden. Wenn man überlegt, wem es fast 2000 Jahre lang
immer wieder sehr genutzt hat, das es ein Gottesbild voller Allmacht
und Härte auf der einen Seite, Gnade und Barmherzigkeit auf der
anderen Seite gegeben hat, wer diese „Zuckerbrot und
Peitsche“-Version von Gott verbreitet hat, dann könnte man ja
darauf kommen, das vieles was so in der Bibel steht, vielleicht gar
nicht so gewesen ist.
Politik wird immer gerne
dort gemacht, wo die Allgemeinheit sie nicht auf den ersten Blick
vermutet – und ganz ketzerisch: Stellt euch vor, das weite Teile
der Bibel so etwas wie die Bildzeitung des Mittelalters waren und die
Stammtischparolen nur meist etwas netter umschrieben. Es hilft oft,
an einen Gott, an eine höhere Macht, zu glauben. Gott im Himmel...
also quasie im All. Genau DORT ist er auch „allmächtig“. Aber
ansonsten? Trial and Error. Versuch und Irrtum. Väter sind so. Ist
man klein, denkt man oft: „Whow, was mein VATER alles hinbekommt!“.
Meiner war so einer, der irgendwie alles konnte. Ein einfacher
Arbeiter – aber er hat mein Elternhaus saniert, Autos repariert,
uns Kindern eine Seilbahn gebaut, einen Trecker geschweisst... als
ich Kind war, gab es für mich nichts, was mein Vater nicht konnte.
Er war für mich fast wie ein Gott. Und dann wird man älter und
merkt: „Irgendwie... er kann doch nicht alles!“. Väter dürfen
Fehler machen – und deshalb darf Gott es auch – denn Christen
sagen Vater zu ihm. Erst als ich für mich erkannt habe, das Gott
kein übermächtiger, allmächtiger, furchteinflößender Herrscher
ist, der mit Zuckerbrot und Peitsche um sich prügelt, sondern
eigentlich – und das eben vor allem in Jesus – ein Mensch war wie
du und ich - konnte ich einen wirklich tiefen Glauben und eine tiefe
Freundschaft zu ihm entwickeln.
Denn genau DAS ist es, was
ich möchte: Eine Freundschaft zu ihm – und nicht unter einer
imaginären Knute von ihm stehen. Denn: „Wenn du dieses und jenes
nicht tust, dann wird der liebe Gott ganz böse!“ - ist immer ein
Machtmittel gewesen. Zum Einschüchtern und zum Unterdrücken.
Betrachte ich Gott bzw. Jesus als Freund, als jemanden mit Ecken und
Kanten, der zutiefst menschlich ist, DANN kann ich an ihn auch
glauben OBWOHL es Auschwitz und viele andere KZ´s gegeben hat und
obwohl es überall auf der Welt nach wie vor Hunger, Leid, Mord und
Totschlag gibt. Dafür... sind wir Menschen verantwortlich. Aber
nicht er, auch wenn es oft einfach ist, ihn als Sündenbock hervor zu
holen.
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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.