Samstag, 3. April 2021

Ostern im „Jupp an der Latt“-Land. Eine Art Predigt.

Wir schreiben das Jahr 2021 nach Christus. Es ist Ostern, und damit der höchste Feiertag der Christen, auch wenn die meisten Christen eigentlich immer denken, das wäre Weihnachten, weil da das Bohei viel größer ist. Nein, es ist Ostern. Der Tag der „Wiederauferstehung“ von Jesus.

Wir haben Ostern 2021, es herrscht Corona und ein Bild mit einer Grabhöhle, einem weggerollten Stein und dem Text „Lockdown hat auch vor über 2000 Jahren schon nicht hingehauen!“ hat irgendwie etwas für sich.

Wir leben nun schon fast 6 Monate im „Jupp an der Latt“-Land. Ich meine, viele Freunde und Bekannte aus Neuruppin und Umgebung können es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass hier in der Gegend überall Kreuze stehen, an denen ein Mensch hängt. Jesus. Es sind hunderte solcher Dinger, egal ob an Hauptstraßen, Nebenstraßen, klein, groß, riesig, aus Stein, Holz oder Materialmix, mit Dach, ohne Dach mit Blumenbeet oder ohne. Man entkommt ihnen einfach nicht.

Was Viele eher nicht wissen ist, dass ich vor vielen Jahren lange in einer Kirchengemeinde mitgearbeitet habe. Glauben kann richtig toll sein und wir hatten in Ofenerdiek mit Christoph und Carola, Frieder dem Jugenddiakon und Herby dem Leiter vom Missionarischen Zentrum ein absolut tolles Team. Ich habe Vorkonfirmanden unterrichtet (das ist quasi Katechumenenunterricht), Gottesdienste mit gestaltet und die Mädels haben bei Kindermusicals mitgemacht. Das Highlight eines der Musicals war Rudolf, das Kamel auf dem man sogar reiten konnte und dass dann quer durch die Kirche gerollt ist. „Ich dachte, du malst eines aus Pappe und schneidest das dann aus...“ kam, nachdem Rudolf in die Kirche gebracht wurde. Zusätzlich war ich 13 Jahre bei einem Frauengesprächskreis, der ein Ableger vom Frauenfrühstück ist.

Glauben ist mir wichtig. Es ist ein maßgeblicher und wichtiger Teil meines Lebens.

Schon immer gewesen.

Aber: ich für mich bin in all den Jahren auch mit dem Glauben gewachsen. Die Art und Sichtweise hat sich in dem Maße geändert, wie ich angefangen habe, Dinge zu hinterfragen. Auch das fällt hier im „Jupp an der Latt“-Land auf: Die Kirche und ihre jahrhundertealten Ansichten werden nicht hinterfragt. Ein Buch, das mehrere hundert Jahre alt ist, hat immer noch Gültigkeit – gut, das Alte Testament lässt man lieber mal aussen vor, aber das Neue Testament und damit „alles rund um Jesus“ dass ist so wie es da steht für die Ewigkeit.

Aber gleiche Leute hinterfragen durchaus und mit völliger Überzeugung einen Wissenschaftler, der jahrelang studiert und geforscht hat und als Experte weltweit anerkannt ist, wenn es um Virus wie Sars-Covid geht. Gar kein Ding, da sind sich selbst Leute die nie mehr als eine 5 in Bio hatten und einen Abschluss der Lernhilfeschule haben, nicht zu schade zu, den in Frage zu stellen und alles besser zu wissen oder Ärzten Lügen vorzuwerfen, die 24-Stunden-Schichten an der Corona-Front schieben.

Meine Tochter ist aus der Kirche ausgetreten. „Ich kann damit nichts mehr anfangen!“. Eine gute und ehrliche Entscheidung und sinnvoll investiertes Geld. Denn damit ist sie auch so ehrlich für immer auf die beliebten Theaterstücke der U-Boot-Christen wie Kindertaufe, kirchliche Hochzeit und kirchliches Begräbnis zu verzichten „weil man das so macht, es eine Feier ist und die Fotos nachher im Album schön aussehen!“. Ich bin sicher, Jesus wäre total begeistert von so viel Ehrlichkeit, Rückgrad und Konsequenz meiner Tochter. Selbst wenn sie nicht an ihn glaubt.

Ich werde es ihr nachtun, auch wenn ich bislang eher etwas bequem war und dachte: „Na ja, Junior ist in einer christlichen WfbM und ich bezahle ja keine Kirchensteuern!“. Aber je länger ich hier im „Jupp an der Latt“-Land mit all den Folterbildern meines mit besten Freundes konfrontiert werde, desto mehr denke ich darüber nach, was mir diese Freundschaft tatsächlich bedeutet.

Wieviel Wert hat es, zu sagen „Jesus ist mein Freund, wenn es mir scheiße geht, ist er für mich da!“ - und auf der anderen Seite so konsequenzenlos völlig egal zu finden, dass die Leute ihn hundertfach als Folterstandbild in ihre Gärten stellen? Ist Glauben und Freundschaft nur eine Einbahnstraße?

Denn nichts anderes ist so ein „Jupp an der Latt“. Ein Bildnis eines fast nackten Menschen, der schwer gefoltert wurde. Den man verletzt und verspottet hat. Der so lange mit schweren Wunden an einem Kreuz hing, bis er starb oder mindestens das Bewusstsein verloren hat. Er ist mein Freund. Einer meiner besten Freunde. Was wäre ich für eine Freundin, wenn mich das nicht mehr und mehr stören würde?

Artikel 1 des Grundgesetzes besagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

In Gerichten wird man bei einer Vereidigung gefragt, ob man auf die Bibel schwören will. Damit ist klar, dass die Justiz auch den Glauben berücksichtigt und die Existenz von Gott und letztlich auch Jesus und Maria anerkennt. Denn sonst würde man ja auch nicht auf die Bibel schwören dürfen.

Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod". Ein starker Satz! Dazu gibt es eine ganz interessante Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag*. In dieser steht unter Anderem: „Nach einer weiteren Ansicht wird der Schutz der Menschenwürde zwar durch den Tod beendet, gleichzeitig gelte das Gebot der Menschenwürde aber als grundsätzliches Prinzip der Werteordnung des Grundgesetzes auch über den Tod hinaus fort.“,

Ebenso findet man dort auch etwas zu „erniedrigenden Darstellungen“ und zwar: „mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.“**

Alles das besagt letztlich, dass jedem Menschen auch nach seinem Tod Würde zusteht. Ein Folterbild wie das von „Jupp an der Latt“ ist aber nichts, was auch nur im Entferntesten etwas mit Würde zu tun hat. Wer sich 2021 ohne Probleme herausnimmt, weltweit führende Wissenschaftler zu hinterfragen – warum hinterfragt man 2021 nach Christus nicht auch mal, ob seine entwürdigende Darstellung als Folteropfer überhaupt noch zeitgemäß und angemessen ist?

In über 85 % aller Fälle gibt es nur zwei Darstellungen von Jesus: „Hurra, ein Baby!“ und „Folteropfer“. Der Rest ist „Maria mit Kind“, „Jesus segnet“, „Maria Magdalena mit Leiche“ oder „Abendmahl“. Christen haben zum großen Teil offensichtlich ein Faible für entwürdigende Gewalt. Oder dafür, nicht nachzudenken.

Für Filme gibt es die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“. Das sind auf den DVD´s die Label mit FSK 0, FSK 6, FSK 12 etc.. Filme werden von ihrem Inhalt her danach geprüft, in wieweit sie den kognitiven Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen entsprechen. Der Film „Die Passion Christie“ mit Mel Gibson hat FSK 16.

Der prämierter Schweizer Kinderfilm „Mein Name ist Eugen“ musste für Deutschland gekürzt werden und hat hier die FSK 6 bekommen, weil eine einminütige Albtraumszene eines Kindes „an Vorgänge in Abu Ghraib erinnern würden“.

Aber völlig problemlos taufen wir selbst kleinste Kinder unter marzialischen Folterbildern von Jupp an der Latt und feiern das sogar!

Wisst ihr, was ich an Jesus eigentlich so toll finde? Warum ich an ihn glaube? Vielleicht sollte ich euch das erklären. Jesus war zu seiner Zeit ein Mensch. Wie du und ich Menschen sind. Und genau wie heute gab es auch schon damals diejenigen, die mit dem Strom geschwommen sind – und diejenigen, die eigene Meinungen hatten. Die hinterfragt haben, Dinge IN FRAGE gestellt haben. Keine Ahnung, wie man solche Leute früher nannte, heute nennt man sie meistens „Freaks“.

Jesus war also zu seiner Zeit ein Freak. Einer, der sich Gedanken macht, der hinterfragt. Der oft unbequem ist. Aber zu seiner Sache steht und damit jede Menge Rückgrad beweist! Mehr also so manch anderer. Judas, der Verräter zum Beispiel. Der fand Jesus zwar auch ziemlich cool und hat sich ihm angeschlossen – aber als es dann um „Butter bei die Fische“ ging, hat er seinen Freund verraten um seine eigene Haut zu retten. Ich mag Jesus, weil er mit seinem Rückgrad und Freak sein für mich ein riesen Vorbild ist. Er hat sein Ding durchgezogen, selbst wenn er dafür letztlich zu Tode gefoltert wurde. Aber selbst diese Konsequenz hat er in Kauf genommen.

Ich mag ihn, weil er das damalige System hinterfragt hat. Eine meiner liebsten Geschichten ist die mit der alten Frau in der Kirche. Sie ist arm und wirft nur eine winzig kleine Münze in den Opferstock. Dafür wird sie von einem wohlhabenden Kerl verspottet. Jesus hat dem dann erklärt, dass die Frau alles gegeben hätte, was sie hatte – der Typ aber, der hätte selbst nur einen kleinen Teil dessen gegeben, was er hat um noch genügend für sich selbst zu behalten.

Jesus hat die Leute aufgefordert, Dinge zu hinterfragen und aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Ebenso hat er den Leuten vermitteln wollen, dass sie das, was sie haben, auch teilen sollten, wenn es notwendig ist. Davon erzählt die Geschichte der Speisung der 5000, oder auch „Die wundersame Brotvermehrung“.

Das sind die Dinge, warum ich Jesus als Freund sehe und an ihn glaube. Warum er für mich ein Vorbild ist. Geschichten, die so viel mehr zeigen, was er eigentlich von den Menschen wollte.

Was die Kirche in den ganzen Jahrhunderten aus Gott, ihm und Maria gemacht hat, ist eine ganz andere Sache! Das muss man letztlich auch immer im Kontext „WEM NÜTZT ES UND WARUM?“ und den Herrschafts- / Machtstrukturen durch die Jahrhunderte hindurch sehen. Die Bibel war etwas, das war geschrieben. Lesen und Schreiben konnten früher aber nur sehr wenige Leute und so mussten alle anderen einfach glauben, was ihnen erzählt wurde. Zumal es ja auch nur relativ wenige „Fernverbindungen“ wie internationale Handelswege gab und auch diese nur von relativ wenigen Menschen genutzt wurde. Deshalb war es sehr einfach von Kirche und Staaten, die Bibel und den Glauben als Machtmittel einzusetzen und in vielen Geschichten oder eben auch Handlungen immer wieder auch sehr grausam zu sein. Denn Menschen, die in Angst leben, lassen sich viel leichter beeinflussen. Etwas, das auch heute noch gilt. Bildung vorenthalten, Angst, Erpressung und Einschüchterung sind auch heute noch sehr beliebte Mittel um Macht auszuüben. Egal ob in einer Freundschaft, in einer Familie, in einer Firma, innerhalb des Staates oder der Kirche.

Ist Jesus für unsere Sünden gestorben? Welchen Sinn hat es, so etwas zu sagen und dann das Bild eines „Jupp an der Latt“ zu verbreiten? Und wenn Jesus umgebracht wurde, weil er den Machthabern zu unbequem war, seine eigene Meinung hatte, Menschen aufgewiegelt hat und man ihm deshalb am liebsten das Maul stopfen wollte? Ist das nicht viel wahrscheinlicher? Schaut euch doch nur mal in der Welt um, was die Mächtigeren mit Menschen machen, die ihnen nicht in den Kram passen! Völlig egal, ob sie Greta, Assange, Ghandi, Mandela oder Latifa heißen!

Viele Menschen warten darauf, dass „Jesus wieder erscheint!“. Darüber gibt es auch richtig tolle Geschichten, wie viele wohlhabende und wichtige Leute in einer Kirche warten weil gesagt wurde „dann und dann kommt Jesus zurück auf die Erde und erscheint hier in der Kirche!“ und sie warten und warten – und er kommt nicht. Dafür hören sie von draußen wo das einfache Volk steht, irgendwann Jubel. Oder ähnliches Szenario und es kommt so ein etwas heruntergekommener Typ angeschlurft und die Leute sind völlig fassungslos, dass das Jesus sein soll.

Das eigentliche Ding an der Sache „Kommt Jesus noch mal wieder?“ ist doch vor allem: Stellt euch vor, ihr seid eine Familie. Mutter, Vater, Kind. Kind stirbt – und die Leute finden es einfach nur geil, überall entwürdigende Standbilder von eurem toten Kind hinzustellen. Dann sind die auch noch so drauf, dass die euch anflöten: „GUCKT MAL, wir haben überall Bilder von eurem fast nacktem toten Kihiiiind wie es jämmerlich blutend am Kreuz hängt! Ist das nicht absolut toll, wie wir euch zeigen, wie sehr wir euch lieben? Whow, oder?“.

Würdet Ihr nicht auch entsetzt sein, an dem Verstand dieser Menschen zweifeln und irgendwann nur denken: „Was für (hier beliebige Beschimpfung einfügen) Menschen es doch gibt! Komm, bleiben wir lieber bei dem dicken lächelnden Buddha und spielen mit dem noch eine Runde Schach, lass die Menschheit ruhig den Bach runtergehen, verdient haben sie es!“?

Oder stellt euch mal vor, hier landen Aliens! Das wäre ja besser als bei „Mars Attacks“! Die würden ja sofort wissen „Ohhhh, super, die stehen hier auf Folter!!!“ und „brrrrzzzzzllll“ wären wir allesamt gegrillt. Zumindest diejenigen, die das eindeutige „Ich finde Foltern gut“-Statement im Garten haben.

Frohe Ostern – oder was auch immer...



* Die postmortale Schutzwirkung der Menschenwürdegarantie Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 384/18 Abschluss der Arbeit: 05.11.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung

**13 BVerfGE 30, 173 (194).



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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.