Sagt euch der Name „Schmerynka“
etwas? Nein? Klingt irgendwie nach leckerem Essen, so nach
„Smacznego“. Das ist polnisch, wird etwa „Schmatznego“
ausgesprochen und heißt „Guten Appetit!“. Aber wenn euch
„Schmerynka“ nicht sagt, dann geht es euch so, wie es mir bis vor
kurzem ging. Wobei ich ja schon Karten aus allen möglichen Orten der
Welt bekommen habe und deren Absender alle wissen, das es hier in
Neuruppin etwas gibt, das sich „Ruppi-Struppi-Blog“ nennt und
sich bemüht haben, mir eine Karte mit einem Hund drauf zu schicken
um mir eine Freude zu machen. Schmerynka hat übrigens einen geflügelten Schimmel im Wappen. So als Ex-Niedersächsin und pferdebegeistert ist das natürlich sehr sympathisch.
Vor einiger Zeit rief unser
Kulturmanager mich an und erzählte, es kämen Gäste aus der
Ukraine, die sich die Kulturwirtschaft in Neuruppin anschauen
wollten. Neuruppin hat einen Kultur-Entwicklungs-Plan und die Stadt,
die so etwas jetzt auch aufstellen will, heißt Schmerynka, liegt in
der West-Ukraine und da würden fünf Leute kommen. Der Bürgermeister
Herr Kuschnir, Herr Dudik als Dezernent und Frau Savina, Frau Frenkel
und Herr Tretiakov als Projektmanager. Es wäre also nicht sicher, ob
er beim Kulturstammtisch dabei ist. Aber was eignet sich besser um
die hiesige Kulturwirtschaft und ihre Vernetzung kennen zu lernen,
als den Kulturstammtisch? Also waren Neuruppins Gäste mit uns beim Skipper. Sehr wichtig: Ab in eine gemütliche Kneipe!
Denn auch das gehört ja irgendwie zur Kultur des Landes dazu.
Wenn man schon keine Segelboote sieht,
dann immerhin den Kater. Also den vierbeinigen, fellbesetzten Senior,
der sich tapfer durchs Leben schlägt. Letztes Jahr wurde ihm
aufgrund eines Tumors ein Auge entfernt, was eine ziemliche
Katastrophe war. Aber wie vierbeinige Skipper-Kater so sind, man ist
nur ein echter Pirat mit einem Auge und auch dann kann man noch
ordentlich zuschlagen! Sprich: sich mit einem Waschbären prügeln
und nur knapp an einem Holzbein vorbeischrammen. Sympathisches
Kerlchen!
Aber nun, Schmerynka... interessante
Frage: „Wie kommen Leute aus Schmerynka ausgerechnet dazu, sich die
Kulturwirtschaft und so in Neuruppin anzuschauen?“. Tja, das hat
mit Dr. Patrick Föhl zu tun, den ich auch schon kennenlernen durfte.
Herr Föhl leitet in Berlin das Büro für Kulturberatung und hat für
Neuruppin zum Einen das Kultur-Entwicklungs-Konzept mit auf die Beine
gestellt als auch dann vor zwei Jahren die Workshops zum Thema
„Braucht Neuruppin einen Kulturbeirat?“ geleitet. Weil er gute
Arbeit macht, hat er zum Thema „Kulturentwicklung in der Ukraine“
in Kiew Workshops im Goethe-Institut geleitet, an denen Leute aus
Schmerynka mit wachsender Begeisterung teilgenommen haben. Sie
möchten für ihre Stadt auch so etwas umsetzen, weil es eine
Möglichkeit wäre, zum Beispiel den Kultur-Tourismus zu fördern und
so die Stadt weiter zu entwickeln. Neuruppin und Schmerynka sind
beides Kleinstädte – und mit unserem vielfältigen kulturellen
Angebot und dem großen Engagement von vielen Leuten ist unsere Stadt
durchaus ein ziemlich gutes Beispiel.
Schmerynka hat in seiner Geschichte
einige mittlerweile recht berühmte Menschen über längere Zeit
beherbergt. So zum Beispiel Tschaikowski, der dort einige seiner
Stücke geschrieben hat, den Erfinder des kleinsten Motors (ich
entschuldige mich dafür, das ich mir den Namen nicht gemerkt habe,
slawische Namen klingen oft anders, als sie geschrieben werden...)
oder auch den Autoren Jan Brzchewa, der „Die Akademie des Herrn
Klecks“ geschrieben hat, was später auch verfilmt wurde.
Natürlich gibt es schon Überlegungen,
was man in Schmerynka veranstalten könnte, zum Beispiel ein
Dixiland-Festival, da es dort sehr gute Jazz-Musiker gibt, oder ein
„Festival der kleinen Dinge“. Oder sogar ein kulinarisches
„Feldküchen-Festival“. Warum auch nicht. Wichtig ist den
Initiatoren, neue Wege zu finden, um ihre Stadt weiter voran zu
bringen. Durch die ganzen Veränderungen in den letzten zwei
Jahrzehnten ist vieles eingeschlafen, zusammengebrochen, wie vorher
nicht mehr möglich.
Was bei manchen Menschen und Verbänden
im kleineren Rahmen passiert ist – in der Ukraine ist es in einem
großen Rahmen passiert und einer der neuen Wege ist für Schmerynka
die Option, einen Kulturtourismus und damit das überwiegend
nicht-materielle Potenzial aufzubauen um sich weiter zu entwickeln.
Neuruppin hat ja gezeigt, wie es geht. Wenn ich mir das Video von
1992 auf youtube angucke... na ja, so attraktiv wie heute war diese
Stadt für Touristen damals sicherlich nicht – und entsprechend
lasst uns doch lieber stolz sein, als Vorbild zu dienen! Finde ich
nämlich ziemlich beeindruckend und klasse!
Vor dem Kulturstammtisch war die
Delegation bei der Feier anlässlich des Gedenktages für die Opfer
des Holocausts am Denkmal im Rosengarten. Auch diese Geschichte
verbindet uns letztlich, denn in der Ukraine hat die Wehrmacht ebenso
furchtbare Dinge angerichtet wie hier und letztlich sind wir ja als
Land auf dem „besten Wege“ (das ist bitter-ironisch gemeint!) die
ganze Scheiße noch einmal zu veranstalten. Letztens habe ich bei
Twitter so einen denkwürdigen Spruch darüber gelesen: „An Alle,
die im Geschichtsunterricht gesagt haben, so etwas würden sie nie
zulassen – jetzt ist eure große Stunde!“. Aber es wird lieber in
weiten Teilen weitergepennt. Manchmal wird auch gerne in andere
Länder geschaut und betont, wie sehr dort noch Familienwerte gelebt
werden und wieviel Achtung dort vor Älteren herrscht. Ist es nicht
merkwürdig, wenn dann genau derjenige hier im Land solche Werte in
den Dreck tritt? Und da nicht einmal drüber nachdenkt?
Nun ja, davor waren sie im
Jugendwohnprojekt „Mittendrin“ als soziokulturelles Zentrum und
im Jugendfreizeitzentrum. Insbesondere das Mittendrin war dann auch
länger Thema auf dem Stammtisch – und zeigt die kulturellen
Unterschiede auf. In der Ukraine wäre so etwas in der Form nicht
möglich. Es herrschte Verwunderung darüber, das etwas, das aus
einer illegalen Aktion heraus, nämlich einer Hausbesetzung, dann
akzeptiert und toleriert wurde. Nicht nur das – es wurde dann ja
letztlich auch gefördert und hat tatsächlich dann irgendwann dazu
geführt, das ein Haus gekauft wurde. Ich denke, das wir mit solchen
Dingen hier durchaus ein ziemliches Privileg haben – AUCH wenn es
ab und an Besuch mit Blaulicht gibt. Aber anderswo wäre es
wahrscheinlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen und
hätte nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt.
Besonders verwundert war man darüber,
das Jugendlichen so viel Geld geliehen wurde um den Bahnhof zu
kaufen. Auch das wäre in der Ukraine so nicht möglich. Also zum
Einen sind dort ja nicht nur Jugendliche am Werk, sondern auch
Erwachsene – und zum Anderen ist es eine lohnenswertere
Investition, Geld über eine Sozialbank in so ein Projekt zu
investieren als bei einer regulären Bank. Denn die Verzinsung ist
höher – und Sozialbanken unterstützen mit dem Geld ihrer Anlieger
keine Rüstungskonzerne. Auch sehr wichtig. Letztlich auch für die
Ukraine. Das Geld, das ins Mittendrin und andere soziale Projekte
fließt, bringt anderswo keine Menschen um.
Ebenfalls war etwas überraschend, das
Projekte wie das Mittendrin und das Jugendfreizeitzentrum einen
Wirtschaftsplan haben und einen Teil ihrer Einnahmen selbst
erwirtschaften und insgesamt Rechenschaft ablegen müssen. Jedenfalls
habe ich das so verstanden, es gibt in der Ukraine zwar rund 2000
Non-Profit-Organisationen, die alle die Hand aufhalten wenn es darum
geht, Geld zu bekommen – aber richtig arbeiten würden nur rund 100
davon.
Bei der Aufzählung, was Schmerynka
alles so an kulturellen Dingen zu bieten hat waren ein Staatsmuseum
dabei, eine Kindermusikschule, zwei Büchereien, ein Park und zwei
Kulturhäuser. Das ist eigentlich eine gute Grundsubstanz. So etwas
wie die Galerien hier gibt es dort nicht - wobei ich denke, dass es
hier vor 20 Jahren wahrscheinlich auch eher nicht so viel mit
Galerien war. Würde Schmerynka z. B. Mit Neuruppin
eine Kulturpartnerschaft eingehen, gäbe es dafür Fördermittel
sowohl von dem Staat Ukraine als auch von der EU.
Ich denke, es wäre sicherlich zwar
etwas Arbeit – aber Neuruppin hat so viel schon von EU-Mitteln
profitiert und sich dadurch auch kulturell zu dem entwickeln können,
wie es heute ist – es wäre zumindest ein Versuch wert, eine
Kulturpartnerschaft mit einer Stadt aufzubauen, die wohl ungefähr so
dasteht, wie Neuruppin vor zwei Jahrzehnten. Denn wer könnte besser
Hilfestellung leisten als jemand, der alles schon mal mitgemacht hat?
Mal ganz abgesehen davon, das es einen spannenden Blick über den
„eigenen Tellerrand“ gibt.
So, damit ihr aber auch wisst, wer dann
außer dem Bürgermeister von Rheinsberg (der fließend russisch
spricht) und Mario Zetzsche als unser Kulturmanager von den
Neuruppiner Kunst- und Kulturakteuren beim Stammtisch war und damit
die Kulturszene letztlich auch ein bisschen vertreten hat: Johannes
Bunk, unser Kunstraum-Galerist hat sich sehr engagiert und zum
Beispiel auf den Autoren der Akademie des Herrn Klecks hingewiesen
und dem Bürgermeister von Schmerynka einen Kinder- und
Jugendliteraturfestival-Button angepinnt. (Warum ist dort ein Rabe
drauf und kein Hund? Weil der Hund hier zum Blog gehört... ;-) ).
Ausserdem hat es tatsächlich super geklappt und die Einladungskarten
für die neue Ausstellung im Kunstraum sind rechtzeitig fertig
geworden. Ausstellen wird ab März nämlich ein Künstler, der aus
der Ost-Ukraine kommt.
Dann war Uschi Jung dabei, die ihren
Werkraum in der Bilderbogenpassage hat, wo es seit einiger Zeit sehr,
sehr bunt zugeht. Cornelia Lambriev-Soost von der Galerie am Bollwerk
war anwesend, Volker Büttner als Journalist und Vorsitzener des
Kulturbeirates ebenfalls, Peter Neiss vom Tempelgarten-Verein war
anwesend und hatte sie dann am folgenden Tag zu Gast, Otto Wynen als
Festspiele- und Festival-Organisator... und ich als Bloggerin. Was
ich eigentlich ganz lustig fand, weil von Mario Zetzsche erklärt
wurde, was ich mache, aber man eben auch nicht immer dann einer
Meinung wäre und die Nachfrage dann war, ob ich neutral berichten
würde. Das habe ich dann verneint und erklärt, das es meine
Sichtweise ist, die sich aber oft auch aus den Meinungen von anderen
Kulturmenschen etc. ergeben würde. Aber immerhin – Grüße nach
Schmerynka – dort kennt man nun Ruppi-Struppi.
Eine Frage möchte ich aber noch gerne
beantworten, die an dem Abend so nicht beantwortet werden konnte: Das
Teil auf dem Turm am Tempelgarten, dem stilisierten Minarett, stellt
einen Pinienzapfen dar. Das sind sehr beliebte Schmuckelemente
gewesen. Quelle: Reprint vom Handbuch der Ornamentik von F. S. Meyer (1907),
Abbildung 113. Heute aus dem Schrank geholt und nachgeschlagen.
Ach so und dann ist mir bei all der
Verwunderung zum Jugendwohnprojekt noch die Schülerfirma „Firma
für alles Mögliche“ eingefallen. Die war an Nicks erster
Förderschule für Schüler mit Körperbehinderungen und damals mit
Schülern einer 7. Klasse bestückt. Diese behinderten Schüler haben
mit einer ganz regulären Bank über einen Förderkredit für eine
Voltaikanlage auf dem Schuldach verhandelt! Und weil sie gute
Argumente hatten und vorher ein bisschen gerechnet haben, wie sie den
Kredit über den Stromverkauf an die EWE zurückzahlen können, haben
sie tatsächlich ein paar tausend Euro Kredit für diese
Voltaikanlage von der Bank bekommen. Natürlich war auch der Lehrer
dabei – aber ich fand es schon damals sehr bemerkenswert, das in
Deutschland Schülern einer Förderschule die Möglichkeit gegeben
wird, mit einer Bank und Firmen zu verhandeln, damit eine Schule so
eine Anlage bekommt. So lernen sie gleich, das sie nicht nur etwas
bekommen, sondern das dem auch Verpflichtungen gegenüber stehen, die
sie zu erfüllen haben. Dies direkt zu erleben ist immer viel besser
und intensiver, als es irgendwie abstrakt vorgesetzt zu bekommen und
dabei in erster Linie den Blick darauf zu haben, was man bekommt.
Danke, Manuela, für warme Wörte! Wir sind waren sehr froh dabei zu sein, mit euer zu unterhalten, warme Atmosphäre zu fühlen. Ich wünsche alles Gute und wir bleiben in Verbindung
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