Freitag, 29. Januar 2016

Von Schmerynka , Piratenkatzen und Jugendprojekten.

Sagt euch der Name „Schmerynka“ etwas? Nein? Klingt irgendwie nach leckerem Essen, so nach „Smacznego“. Das ist polnisch, wird etwa „Schmatznego“ ausgesprochen und heißt „Guten Appetit!“. Aber wenn euch „Schmerynka“ nicht sagt, dann geht es euch so, wie es mir bis vor kurzem ging. Wobei ich ja schon Karten aus allen möglichen Orten der Welt bekommen habe und deren Absender alle wissen, das es hier in Neuruppin etwas gibt, das sich „Ruppi-Struppi-Blog“ nennt und sich bemüht haben, mir eine Karte mit einem Hund drauf zu schicken um mir eine Freude zu machen. Schmerynka hat übrigens einen geflügelten Schimmel im Wappen. So als Ex-Niedersächsin und pferdebegeistert ist das natürlich sehr sympathisch.


Vor einiger Zeit rief unser Kulturmanager mich an und erzählte, es kämen Gäste aus der Ukraine, die sich die Kulturwirtschaft in Neuruppin anschauen wollten. Neuruppin hat einen Kultur-Entwicklungs-Plan und die Stadt, die so etwas jetzt auch aufstellen will, heißt Schmerynka, liegt in der West-Ukraine und da würden fünf Leute kommen. Der Bürgermeister Herr Kuschnir, Herr Dudik als Dezernent und Frau Savina, Frau Frenkel und Herr Tretiakov als Projektmanager. Es wäre also nicht sicher, ob er beim Kulturstammtisch dabei ist. Aber was eignet sich besser um die hiesige Kulturwirtschaft und ihre Vernetzung kennen zu lernen, als den Kulturstammtisch? Also waren Neuruppins Gäste mit uns beim Skipper. Sehr wichtig: Ab in eine gemütliche Kneipe! Denn auch das gehört ja irgendwie zur Kultur des Landes dazu.

Wenn man schon keine Segelboote sieht, dann immerhin den Kater. Also den vierbeinigen, fellbesetzten Senior, der sich tapfer durchs Leben schlägt. Letztes Jahr wurde ihm aufgrund eines Tumors ein Auge entfernt, was eine ziemliche Katastrophe war. Aber wie vierbeinige Skipper-Kater so sind, man ist nur ein echter Pirat mit einem Auge und auch dann kann man noch ordentlich zuschlagen! Sprich: sich mit einem Waschbären prügeln und nur knapp an einem Holzbein vorbeischrammen. Sympathisches Kerlchen!


Aber nun, Schmerynka... interessante Frage: „Wie kommen Leute aus Schmerynka ausgerechnet dazu, sich die Kulturwirtschaft und so in Neuruppin anzuschauen?“. Tja, das hat mit Dr. Patrick Föhl zu tun, den ich auch schon kennenlernen durfte. Herr Föhl leitet in Berlin das Büro für Kulturberatung und hat für Neuruppin zum Einen das Kultur-Entwicklungs-Konzept mit auf die Beine gestellt als auch dann vor zwei Jahren die Workshops zum Thema „Braucht Neuruppin einen Kulturbeirat?“ geleitet. Weil er gute Arbeit macht, hat er zum Thema „Kulturentwicklung in der Ukraine“ in Kiew Workshops im Goethe-Institut geleitet, an denen Leute aus Schmerynka mit wachsender Begeisterung teilgenommen haben. Sie möchten für ihre Stadt auch so etwas umsetzen, weil es eine Möglichkeit wäre, zum Beispiel den Kultur-Tourismus zu fördern und so die Stadt weiter zu entwickeln. Neuruppin und Schmerynka sind beides Kleinstädte – und mit unserem vielfältigen kulturellen Angebot und dem großen Engagement von vielen Leuten ist unsere Stadt durchaus ein ziemlich gutes Beispiel.

Schmerynka hat in seiner Geschichte einige mittlerweile recht berühmte Menschen über längere Zeit beherbergt. So zum Beispiel Tschaikowski, der dort einige seiner Stücke geschrieben hat, den Erfinder des kleinsten Motors (ich entschuldige mich dafür, das ich mir den Namen nicht gemerkt habe, slawische Namen klingen oft anders, als sie geschrieben werden...) oder auch den Autoren Jan Brzchewa, der „Die Akademie des Herrn Klecks“ geschrieben hat, was später auch verfilmt wurde.

Natürlich gibt es schon Überlegungen, was man in Schmerynka veranstalten könnte, zum Beispiel ein Dixiland-Festival, da es dort sehr gute Jazz-Musiker gibt, oder ein „Festival der kleinen Dinge“. Oder sogar ein kulinarisches „Feldküchen-Festival“. Warum auch nicht. Wichtig ist den Initiatoren, neue Wege zu finden, um ihre Stadt weiter voran zu bringen. Durch die ganzen Veränderungen in den letzten zwei Jahrzehnten ist vieles eingeschlafen, zusammengebrochen, wie vorher nicht mehr möglich.

Was bei manchen Menschen und Verbänden im kleineren Rahmen passiert ist – in der Ukraine ist es in einem großen Rahmen passiert und einer der neuen Wege ist für Schmerynka die Option, einen Kulturtourismus und damit das überwiegend nicht-materielle Potenzial aufzubauen um sich weiter zu entwickeln. Neuruppin hat ja gezeigt, wie es geht. Wenn ich mir das Video von 1992 auf youtube angucke... na ja, so attraktiv wie heute war diese Stadt für Touristen damals sicherlich nicht – und entsprechend lasst uns doch lieber stolz sein, als Vorbild zu dienen! Finde ich nämlich ziemlich beeindruckend und klasse!


Vor dem Kulturstammtisch war die Delegation bei der Feier anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Holocausts am Denkmal im Rosengarten. Auch diese Geschichte verbindet uns letztlich, denn in der Ukraine hat die Wehrmacht ebenso furchtbare Dinge angerichtet wie hier und letztlich sind wir ja als Land auf dem „besten Wege“ (das ist bitter-ironisch gemeint!) die ganze Scheiße noch einmal zu veranstalten. Letztens habe ich bei Twitter so einen denkwürdigen Spruch darüber gelesen: „An Alle, die im Geschichtsunterricht gesagt haben, so etwas würden sie nie zulassen – jetzt ist eure große Stunde!“. Aber es wird lieber in weiten Teilen weitergepennt. Manchmal wird auch gerne in andere Länder geschaut und betont, wie sehr dort noch Familienwerte gelebt werden und wieviel Achtung dort vor Älteren herrscht. Ist es nicht merkwürdig, wenn dann genau derjenige hier im Land solche Werte in den Dreck tritt? Und da nicht einmal drüber nachdenkt?

Nun ja, davor waren sie im Jugendwohnprojekt „Mittendrin“ als soziokulturelles Zentrum und im Jugendfreizeitzentrum. Insbesondere das Mittendrin war dann auch länger Thema auf dem Stammtisch – und zeigt die kulturellen Unterschiede auf. In der Ukraine wäre so etwas in der Form nicht möglich. Es herrschte Verwunderung darüber, das etwas, das aus einer illegalen Aktion heraus, nämlich einer Hausbesetzung, dann akzeptiert und toleriert wurde. Nicht nur das – es wurde dann ja letztlich auch gefördert und hat tatsächlich dann irgendwann dazu geführt, das ein Haus gekauft wurde. Ich denke, das wir mit solchen Dingen hier durchaus ein ziemliches Privileg haben – AUCH wenn es ab und an Besuch mit Blaulicht gibt. Aber anderswo wäre es wahrscheinlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen und hätte nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt.

Besonders verwundert war man darüber, das Jugendlichen so viel Geld geliehen wurde um den Bahnhof zu kaufen. Auch das wäre in der Ukraine so nicht möglich. Also zum Einen sind dort ja nicht nur Jugendliche am Werk, sondern auch Erwachsene – und zum Anderen ist es eine lohnenswertere Investition, Geld über eine Sozialbank in so ein Projekt zu investieren als bei einer regulären Bank. Denn die Verzinsung ist höher – und Sozialbanken unterstützen mit dem Geld ihrer Anlieger keine Rüstungskonzerne. Auch sehr wichtig. Letztlich auch für die Ukraine. Das Geld, das ins Mittendrin und andere soziale Projekte fließt, bringt anderswo keine Menschen um.

Ebenfalls war etwas überraschend, das Projekte wie das Mittendrin und das Jugendfreizeitzentrum einen Wirtschaftsplan haben und einen Teil ihrer Einnahmen selbst erwirtschaften und insgesamt Rechenschaft ablegen müssen. Jedenfalls habe ich das so verstanden, es gibt in der Ukraine zwar rund 2000 Non-Profit-Organisationen, die alle die Hand aufhalten wenn es darum geht, Geld zu bekommen – aber richtig arbeiten würden nur rund 100 davon.

Bei der Aufzählung, was Schmerynka alles so an kulturellen Dingen zu bieten hat waren ein Staatsmuseum dabei, eine Kindermusikschule, zwei Büchereien, ein Park und zwei Kulturhäuser. Das ist eigentlich eine gute Grundsubstanz. So etwas wie die Galerien hier gibt es dort nicht - wobei ich denke, dass es hier vor 20 Jahren wahrscheinlich auch eher nicht so viel mit Galerien war. Würde Schmerynka z. B. Mit Neuruppin eine Kulturpartnerschaft eingehen, gäbe es dafür Fördermittel sowohl von dem Staat Ukraine als auch von der EU.

Ich denke, es wäre sicherlich zwar etwas Arbeit – aber Neuruppin hat so viel schon von EU-Mitteln profitiert und sich dadurch auch kulturell zu dem entwickeln können, wie es heute ist – es wäre zumindest ein Versuch wert, eine Kulturpartnerschaft mit einer Stadt aufzubauen, die wohl ungefähr so dasteht, wie Neuruppin vor zwei Jahrzehnten. Denn wer könnte besser Hilfestellung leisten als jemand, der alles schon mal mitgemacht hat? Mal ganz abgesehen davon, das es einen spannenden Blick über den „eigenen Tellerrand“ gibt.

So, damit ihr aber auch wisst, wer dann außer dem Bürgermeister von Rheinsberg (der fließend russisch spricht) und Mario Zetzsche als unser Kulturmanager von den Neuruppiner Kunst- und Kulturakteuren beim Stammtisch war und damit die Kulturszene letztlich auch ein bisschen vertreten hat: Johannes Bunk, unser Kunstraum-Galerist hat sich sehr engagiert und zum Beispiel auf den Autoren der Akademie des Herrn Klecks hingewiesen und dem Bürgermeister von Schmerynka einen Kinder- und Jugendliteraturfestival-Button angepinnt. (Warum ist dort ein Rabe drauf und kein Hund? Weil der Hund hier zum Blog gehört... ;-) ). Ausserdem hat es tatsächlich super geklappt und die Einladungskarten für die neue Ausstellung im Kunstraum sind rechtzeitig fertig geworden. Ausstellen wird ab März nämlich ein Künstler, der aus der Ost-Ukraine kommt.

Dann war Uschi Jung dabei, die ihren Werkraum in der Bilderbogenpassage hat, wo es seit einiger Zeit sehr, sehr bunt zugeht. Cornelia Lambriev-Soost von der Galerie am Bollwerk war anwesend, Volker Büttner als Journalist und Vorsitzener des Kulturbeirates ebenfalls, Peter Neiss vom Tempelgarten-Verein war anwesend und hatte sie dann am folgenden Tag zu Gast, Otto Wynen als Festspiele- und Festival-Organisator... und ich als Bloggerin. Was ich eigentlich ganz lustig fand, weil von Mario Zetzsche erklärt wurde, was ich mache, aber man eben auch nicht immer dann einer Meinung wäre und die Nachfrage dann war, ob ich neutral berichten würde. Das habe ich dann verneint und erklärt, das es meine Sichtweise ist, die sich aber oft auch aus den Meinungen von anderen Kulturmenschen etc. ergeben würde. Aber immerhin – Grüße nach Schmerynka – dort kennt man nun Ruppi-Struppi.


Eine Frage möchte ich aber noch gerne beantworten, die an dem Abend so nicht beantwortet werden konnte: Das Teil auf dem Turm am Tempelgarten, dem stilisierten Minarett, stellt einen Pinienzapfen dar. Das sind sehr beliebte Schmuckelemente gewesen. Quelle: Reprint vom Handbuch der Ornamentik von F. S. Meyer (1907), Abbildung 113. Heute aus dem Schrank geholt und nachgeschlagen.

Ach so und dann ist mir bei all der Verwunderung zum Jugendwohnprojekt noch die Schülerfirma „Firma für alles Mögliche“ eingefallen. Die war an Nicks erster Förderschule für Schüler mit Körperbehinderungen und damals mit Schülern einer 7. Klasse bestückt. Diese behinderten Schüler haben mit einer ganz regulären Bank über einen Förderkredit für eine Voltaikanlage auf dem Schuldach verhandelt! Und weil sie gute Argumente hatten und vorher ein bisschen gerechnet haben, wie sie den Kredit über den Stromverkauf an die EWE zurückzahlen können, haben sie tatsächlich ein paar tausend Euro Kredit für diese Voltaikanlage von der Bank bekommen. Natürlich war auch der Lehrer dabei – aber ich fand es schon damals sehr bemerkenswert, das in Deutschland Schülern einer Förderschule die Möglichkeit gegeben wird, mit einer Bank und Firmen zu verhandeln, damit eine Schule so eine Anlage bekommt. So lernen sie gleich, das sie nicht nur etwas bekommen, sondern das dem auch Verpflichtungen gegenüber stehen, die sie zu erfüllen haben. Dies direkt zu erleben ist immer viel besser und intensiver, als es irgendwie abstrakt vorgesetzt zu bekommen und dabei in erster Linie den Blick darauf zu haben, was man bekommt.
























1 Kommentar:

  1. Danke, Manuela, für warme Wörte! Wir sind waren sehr froh dabei zu sein, mit euer zu unterhalten, warme Atmosphäre zu fühlen. Ich wünsche alles Gute und wir bleiben in Verbindung

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Vielen Dank für den Kommentar. Er wird nicht sofort zu sehen sein, weil ich erst noch schauen möchte, ob es tatsächlich ein Kommentar ist oder ob es Werbung aus Nigeria und Co ist.